Daniel Cohn-Bendit: "Joschka Fischer ist beerdigt"
Nach dem Parteitag zum Afghanistan-Einsatz: Europa-Grünen-Chef Cohn-Bendit über die Beschädigung des Vorstands und die Konkurrenz mit "Die Linke".
taz: Herr Cohn-Bendit, der Parteitag hat den Antrag des Vorstands abgeschmettert. Was heißt das für die Grünen?
Daniel Cohn-Bendit: Die Grünen sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen, also da, wo sie immer sein wollten.
Wie bitte?
Ja, sie drücken die Stimmung aus, die in Deutschland herrscht. Viele Menschen meinen, das hat keinen Sinn in Afghanistan - und ein Abzug ist daher die Folge.
Die Grünen in der Mitte der Gesellschaft - mit einer Position des linken Flügels.
Es gibt viele Situationen, wo dieses Nein zu einer Verantwortung in der Welt eine Position der Mitte der Gesellschaft ist. Ich glaube, dass wir gerade in folgender Situation sind: Die Bundesregierung kämpft nicht für den Tornado-Einsatz, also kämpft niemand dafür. Aber wenn man Regierung sein will, wird so eine Politik langfristig nicht tragen.
Ist es denn die Aufgabe der Opposition?
Aufgabe der Opposition ist es, bessere Konzepte zu finden - aber nicht aus Prinzip einen Gegenkurs zur Regierung einzuschlagen. Das habe ich auch in meiner Rede gesagt: Es wird mit den Tornados auch die Grenze nach Pakistan überwacht.
Sie wurden dafür ausgebuht.
Aber die Realität kann man nicht ausbuhen!
Wird die Grünen-Fraktion der Basis-Entscheidung folgen?
Die Fraktion wird so abstimmen, wie sie es will. Aber fatal ist doch, dass viele Fraktionsmitglieder dann nicht mehr aufgestellt werden. Es entsteht für uns aber noch ein viel größeres Problem.
Welches?
Ein Nein zu Isaf heißt: Man verhält sich wie die Partei Die Linke. Man will nicht regieren.
Das Basis-Votum ist die Absage an die Regierungsfähigkeit?
Zumindest eine Abtreibung der grünen Politik unter Rot-Grün, eine Beerdigung von Joschka Fischer. Wenn die Grünen den Weg der Fundamentalopposition gehen wollen - bitte! Dann muss man sehen, wie diese Position in der Wählerschaft ankommt. Die Mehrheit der Grünen will diesen Kampf. Soll sie ihn doch führen. Soll Robert Zion doch mal durch die Lande ziehen und die Massen anziehen. Da bin ich mal gespannt, wie das passiert.
Was heißt das für das Führungsquintett? Wer profitiert?
Klar ist der Bundesvorstand jetzt beschädigt. Aber ich glaube, alle, die einen realpolitischen Kurs haben wollen, haben jetzt verloren. Aber man muss auch sehen: Diejenigen, die hier zum Parteitag gekommen sind, sind diejenigen, die Nein sagen wollten. Die anderen sind nicht gekommen.
INTERVIEW: KATHARINA KOUFEN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“