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Archiv-Artikel

Damit die Chemie künftig stimmt

Das EU-Parlament hat die lang umkämpfte Reach-Richtlinie verabschiedet. Umweltschützer halten sie für zahnlos, Liberale sehen kleine Betriebe in Gefahr

BRÜSSEL taz ■ Mit überwältigender Mehrheit hat das Europaparlament gestern den Kompromiss zur Chemikaliengesetzgebung gebilligt, der zwischen Rat, Kommission und Parlament ausgehandelt worden war. Im Sommer 2007 kann die Chemie-Agentur in Helsinki ihre Arbeit aufnehmen. Dann sollen in der EU verwendete chemische Stoffe nach einheitlichen Kriterien geprüft und zugelassen werden.

Eine große Koalition aus Sozialisten, Liberalen und Konservativen war offensichtlich heilfroh, das Thema endlich vom Tisch zu haben. Mehr als 70 Prozent der Abgeordneten stimmten mit Ja. Viele der Änderungsanträge der Grünen seien ihm zwar sympathisch, gestand der italienische Berichterstatter Guido Sacconi (PSE). Doch wenn der Kompromiss aufgeschnürt werde, drohe ein monatelanges Vermittlungsverfahren. Er habe mit fünf Ratspräsidentschaften und zwei EU-Kommissionen über Reach (Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien) gestritten und wolle zum Ende kommen.

Umweltverbände kritisieren die Verordnung als zahnlos. Sie hatten ein Gesetz gefordert, das die Produzenten zwingt, giftige Stoffe nach einer bestimmten Übergangsfrist durch umweltverträgliche Alternativen zu ersetzen. Nun müssen die Hersteller nur belegen, dass eine „adäquate Kontrolle“ besteht, weil ein Stoff zum Beispiel nur als Zwischenprodukt im Herstellungsverfahren auftritt. Sie müssen zwar nachweisen, dass sie nach Alternativen forschen. Eine Frist dafür gibt es aber nicht.

Die Kritik von Konservativen und Liberalen geht in die entgegengesetzte Richtung. Sie sagen voraus, dass kleine und mittlere Firmen ins Hintertreffen geraten werden, weil sich die aufwändigen Labortests bei kleinen Produktionsmengen nicht rentieren. Auch verfügen viele kleine Betriebe nicht über eigene Forschungsabteilungen, wo sie Alternativstoffe testen könnten. Deshalb steige die Abhängigkeit von chemischen Großbetrieben.

Die unterschiedliche Haltung zu Reach geht quer durch die Parteien. So lobte der britische Liberale Chris Davies die neue Verordnung als „gelungene Abwägung zwischen den Wirtschaftsinteressen der chemischen Industrie und der Notwendigkeit, die menschliche Gesundheit und die Umwelt besser vor Chemikalien mit unbekannten Langzeitwirkungen zu schützen“. Sein deutscher Fraktionskollege Alexander Graf Lambsdorff bemängelte hingegen mangelndes Augenmaß bei den Anforderungen für kleine und mittlere Unternehmen, für die der Bereich bis 100 Tonnen Jahresproduktion kritisch sei. „Sie könnten die Verlierer der Chemikalienordnung sein.

Alles hänge nun davon ab, betonen Umweltverbände und chemische Unternehmen gleichermaßen, wie streng die neue Chemieagentur das Risiko von Stoffen bewerte und wie großzügig sie mit Zulassungen umgehe. Als Lobbystandort für die chemische Industrie und Umweltorganisationen dürfte Helsinki bald interessant werden.

DANIELA WEINGÄRTNER