: Da is’ a Fettfleck!
KUNSTTRANSPORT Zum Kirchentag zeigt Bremen eine große Lucas Cranach-Ausstellung. Der Maler hat schließlich Luther porträtiert – und das gleich an die 40 Mal. Doch all das muss erst mal sorgfältigst herangeschafft werden
Die Cranach-Dynastie war in Wittenberg ansässig.
■ Lucas Cranach d. Ä. (1472 – 1553) baute dort eine umfangreiche Malwerkstatt auf, die später von seinem gleichnamigen Sohn übernommen wurde. Nach dem Manufaktur-Prinzip wurden dort Motivmustermehrfach verwendet, besonderen merkantilen Erfolg hatte die Einführung des weltlichen weiblichen Aktes in Gestalt der Quellnymphe.
■ Auch auf anderen Gebieten bewies Cranach, der eng mit Luther befreundet war, unternehmerischen Elan: Er betrieb einen Weinausschank, eine Apotheke, eine Buchhandlung und einen florierenden Grundstückshandel.
■ Politisch konnte Cranach seine ökonomische Stellung dadurch stabilisieren, dass er das das Amt des Wittenberger Stadtkämmerers übernahm, 1537 stieg er sogar zum Bürgermeister auf. Auch diese Ämter erbte sein gleichnamiger Sohn. Die Cranach-Dynastie endete mit Lucas Cranach III., der 1645 in Wittenberg starb. (hb)
VON HENNING BLEYL
Wenn im Museum alle aussehen wie die Ober eines edlen Gala-Diners, ist Aufbauzeit. Mit weißen Handschuhen steht Rainer Stamm, Direktor der Kunstsammlungen in der Bremer Böttcherstraße, vor einer großen Kiste. Noch dürfen er und seine KollegInnen sie nicht anrühren: Sie muss sich klimatisieren, bevor sie ihre Schätze frei gibt. In diesem Fall einen „Schmerzensmann“ von Lucas Cranach dem Älteren, entstanden etwa 1504. Zum Kirchentag widmet sich Bremen dem Reformations-Maler.
35 Cranachs aus aller Welt werden derzeit eingeflogen, dieses Leihgeschäft hat seine eigenen Regeln. Zum Beispiel: Mindestens 24 Stunden muss jede Klimakiste am Ankunftsort gelagert werden, bevor das Auspacken beginnt – so lange dauert der mikroklimatische Anpassungsprozess der Kunstwerke. Ob die Kiste während dieser „Quarantäne“ liegen dürfen oder, wie beim Transport, aufrecht stehen müssen, hängt wiederum von den Vorgaben der Leihgeber ab.
Bei den Innsbruckern, die den Schmerzensmann beisteuern, darf gelegt werden. Das sagt Wilma Wechner vom Tiroler Landesmuseum, die das Werk nach Bremen begleitet. „Wenn man das Ein- und Auspacken den Speditionen überlässt, geht durchaus mal was kaputt“ – da habe man „leidvolle Erfahrungen“ gemacht, sagt die resolute Restauratorin. So ein Cranach kostet Millionen, ein Promille des Marktwertes gilt in etwa als Marge für die Versicherungsprämie. Da können allein die Policen leicht ein Zehntel des Ausstellungs-Etats verschlingen.
Also Obacht. Fast ehrfürchtig wird jetzt die Verpackung geöffnet, dann kommt die akribische Kontrolle: Mit einer Speziallampe leuchten Wechner und ihre Bremer Kollegin Angelica Hoffmeister-zur Nedden jeden Winkel des Bildes ab und einigen sich auf den Protokolltext: „Oberfläche: gereinigt. Firniss: Fleckig, stumpf, vergilbt?“ „Korrekt“, sagt Hoffmeister-zur Nedden. Dann kommt’s: „Auf der Rückseite is’ a Fettfleck“, sagt Wechner bekümmert. Tatsache: Ein dicker dunkler Schatten verunstaltet das Eichenholz.
Mit dem Öl habe man versucht, eine alte Aufschrift, wohlmöglich von Cranach selbst, lesbar zu machen, erklärt die Restauratorin mit einem resignativen Lächeln. Einziges Ergebnis: ein Fleck. Immerhin kommt das Bild jetzt mal ans Tageslicht, in Innsbruck fristet es ein Depot-Dasein. Das Landesmuseum gehört zu den Häusern, die nach dem aufwändigen Umbau vor einigen Jahren über weniger Ausstellungsfläche verfügen als vorher, dafür über architektonisch befriedigende Treppenhäuser.
Da kommt schon der nächste Schmerzensmann – diesmal aus Coburg. Die dortigen Kuratoren haben offenbar nicht die Zeit für aufwendige Kurierfahrten, der Kollege hat aber darauf bestanden, kurz vor dem Auspacken angerufen zu werden. „Dürfen wir jetzt?“, fragt Hofmeister-zur Nedden ins Telefon. Man darf – doch am Rahmen fehlt ein Haken. Ob man den durch einen anderen – und wenn ja, welchen – ersetzen darf: Solche Klärungsprozesse machen einen Ausstellungsaufbau zum Kraftakt.
Lucas Cranach, zumindest der Ältere, gilt neben Dürer und Hans Holbein d. J. als prägender Maler und Porträtist der deutschen – also späten – Renaissance. Er ist aber auch für ziemlich Mengen von Mittelmaß verantwortlich. Sowohl aus eigener Hand als auch aus der seiner zahlreichen Angestellten. Als Mal-Unternehmer betrieb er eine große Werkstatt für Auftragsarbeiten, gern für Luther und die sächsischen Kurfürsten, mit gleichem Eifer aber auch für potente katholische Auftraggeber.
Cranachs berühmtes Luther-Porträt ist ein Vorzeigeobjekt der Böttcherstraße. Und aus dem an sich eher misslichen Umstand, dass es weltweit noch 30 bis 40 weitere Cranach-Luthers gibt, hat das Haus jetzt eine Tugend gemacht, eine Ausstellungskonzeption: Während frühere Cranach-Schauen auf die Breite des Schaffens-Spektrums setzten, kreiert Bremen mit der Beschränkung auf wenige Motive ein geradezu historisches Alleinstellungsmerkmal: „Seit sie die Werkstatt verlassen haben, waren diese Bilder nie wieder zusammen“, gibt Stamm zu bedenken. In Zahlen: Neben den Luthers und Melanchthons zeigt Bremen fünf heilige Dreifaltigkeiten, fünf Schmerzensmänner und etliche Quellnymphen. Mit dieser gewünschten Motivarmut wolle man „das Auge herausfordern“, sagt Direktor Stamm, also „vergleichendes Sehen“ ermöglichen.
Derweil vergleichen Kuriere und Kuratoren weiter die Gemäldezustände. Insgesamt vier Protokolle müssen im Verlauf der Leihgabe erstellt werden. Die Versicherungen wollen im Schadensfall – und der kommt in der Praxis durchaus vor – genau nachvollziehen können, bei welchem Transport- oder Packvorgang etwas passiert ist.
Allerdings: Das Geschäft ist rückläufig. Vor fünf Jahren seien es noch an die zehn Kurierreisen pro Jahr gewesen, sagt Wechner, das habe sich mittlerweile halbiert. Zudem sei die weltweit veränderte Finanzlage deutlich an den Destinationen abzulesen: In Gegensatz zu früher würden japanische und US-amerikanische Museen kaum noch Bilder aus Europa leihen. Auch die hiesigen Häuser besönnen sich zunehmend auf die eigenen Bestände. Im Übrigen gelte für ihr Haus die Devise: Südlich von Rom wird nichts hingeschickt. Da hat Bremen nochmal Glück gehabt.