: Da hilft auch kein Gift mehr
■ Horrende Wohnzustände im Asylbewerberheim in Schwachhausen / Beirat schockier
„Do not touch“, steht auf den kleinen Briefchen, die in dem schmalen Spalt zwischen Türrahmen und Wand stecken. Mit Zeigefinger und Daumen zieht die junge Frau ein Briefchen heraus. „Hier sehen Sie, alles voll“, sagt sie in gebrochenem Deutsch und verzieht das Gesicht. Auf der weißen Pappe kleben Dutzende von Küchenschaben, die auf dem giftigen Briefchen verreckt sind. „Sie sind überall“, klagt die junge Frau und zeigt auf die Ungeziefer-Killer, die in den Löchern und Ritzen der Holzvertäfelung ihrer Wohnung stecken. Ihr dreijähriger Sohn kaut unterdessen gedankenverloren an einer Gurke. „Wir können machen, was wir wollen“, erzählt die Mutter weiter. „Es werden immer mehr.“ Die Gurke rutscht dem kleinen Knirps durch die Hände und fällt auf den Fußboden. Blitzschnell bückt sich das Kind und steckt die Gurke wieder in den Mund. Sachte nimmt die Mutter die Gurke aus der Hand. Dann zieht sie sein T-Shirt hoch. „Meine Kinder sind schon alle krank“, sagt sie und deutet mit der Hand auf die kleinen roten Pickel auf dem Bauch ihres Sohnes.
38 Menschen aus Armenien, Afrika, Iran, Afghanistan und Kurdistan leben nach offiziellen Angaben in dem Asylbewerberheim an der Schwachhauser Heerstraße 110. Drei Familien mit Kindern leben in der 811 Quadratmeter großen Villa Tür an Tür mit „einer Horde alleinstehender Männer“, wie die Mutter von acht Kindern formuliert. Die Wände sind feucht, der Putz bröckelt von den Wänden, die AsylbewerberInnen klagen über Schaben und anderes Ungeziefer. Eine vierköpfige Familie lebt in einem winzigen Raum im Erdgeschoß. Der Herd steht direkt vor der Dusche und versperrt den Weg in die Naßzelle. Zwischen Dusche und Herd ist nur ein schmaler Spalt. „Gut, daß ich dünn bin“, sagt die junge Frau, die mit ihrer Familie in dem Zimmer lebt. „Sonst käme ich da nicht durch.“ Sie schläft auf dem Sofa neben dem Herd. Ihre beiden Kinder schlafen in dem Etagenbett an der Wand. Ein Gästebett, das Nachtlager ihres Mannes, steht zusammengeklappt an der Heizung. Die Luft ist stickig – trotz des geöffneten Fensters. „Ich bin schon ganz krank geworden“, erzählt die Frau. „Meine Knochen tun mir weh. Mein Arzt meinte, das könnte von der Feuchtigkeit kommen. Aber oft ist mir so schwindelig, daß ich wie eine Betrunkene die Straßen langgehe. Vielleicht ist das von der Seele.“
Selbst die Mitglieder des Schwachhausener Beirats, die das Haus vor einigen Wochen besuchten, waren schockiert. „So kann man mit Menschen nicht umgehen. Das ist ja menschenunwürdig“, schimpft Beiratsmitglied Bernd Huse (CDU). Doch helfen kann den Asylbewerbern niemand.
Auch die Bremische nicht, die das Haus verwaltet. „Wir wissen über die Zustände des Hauses Bescheid“, räumt Pressesprecher Dieter Cordes sofort ein. „Wir sind darüber nicht glücklich, aber wir können nichts machen. Wir versuchen ständig über Abmahnungen und Mietminderungen, was zu erreichen. Wir stehen mit den Vermietern ständig vor Gericht. Aber es geschieht nichts.“ Einer der Vermieter ist Dr. Heß, ein Zahnarzt aus Nienburg. 23 Mark pro Nacht kassiert er für 46 Personen – egal wieviele Menschen in dem Haus tatsächlich übernachten. Knapp 32.000 Mark zahlt die Stadt pro Monat an Miete. Das sind im Jahr 380.880. Über fünf Jahre wurde der Mietvertrag abgeschlossen, so daß sich die Gesamtmiete auf knapp zwei Millionen Mark beläuft. „Dafür hätte man die Villa fast kaufen können“, ärgert sich ein Beiratsmitglied, das nicht genannt werden möchte. „Anstatt sich nach was anderem umzusehen, schmeißt man das Geld so einem cleveren Geschäftsmann in den Rachen. Der hat ja mehrere Häuser in Bremen und kassiert überall so horrende Mieten.“
Davon könne keine Rede sein, widerspricht Helmut Stephan, der Verwalter von Heß, den Vorwürfen. „Diese Leute verwohnen das Haus ja auch total. Da braucht man so eine hohe Miete. Da kommt zum Beispiel nachts ein Anruf, daß die Türen eingeschlagen worden sind. Asylanten sind halt so. Da kann man nichts machen. Ich bin ja nicht so, daß ich wegen der Rasse was sagen würde, aber die sind halt so.“ 40.000 Mark hätten die Vermieter allein für die Bekämpfung von Ungeziefer ausgegeben. „Aber das Ungeziefer kommt von den Leuten. Dafür kann der Vermieter nichts.“ kes
Beiratsmitglied Bernd Huse tröstet die Antwort nicht. „So gehen wir mit Leuten um, und einige machen damit Geschäfte“, sagt er. Auch im Sozialressort zuckt man nur mit den Achseln. „Der Vertrag ist 1993 geschlossen worden. Damals suchte Bremen händerigend nach Unterkünften für Asylbewerber. Die Situation so, daß die Vermieter die Bedingungen praktisch diktiert haben.“ Mietverträge über fünf Jahre seien damals allerdings normal gewesen. Und: „Bevor der Mietvertrag Ende 98 ausläuft, kommt die Stadt da auch nicht raus.“ kes
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