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DURCHS DRÖHNLANDVon überzeugten Dilettanten zur besten Band der Welt

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Er steht so allein in der Berliner Musiklandschaft, wie man nur stehen kann. Keine Szene, der er sich zugehörig fühlt, kein Stil, von dem er sich beeinflußt fühlt. Wenn Caspar Brötzmann Musik macht, ist das mehr wie Tagebuchschreiben, wenn auch ohne Worte. Anstatt der Stimmbänder benutzt er die Gitarre und spielt Stimmungen, wie aus dunklen B-Pictures der 50er Jahre. Der Gitarre sind keine Harmonien vorgegeben, sie versucht zu sprechen, baut sich bedrohlich auf, fällt in sich zusammen, schreit und flüstert, weint und lacht, stöhnt und ächzt. Bisher war jedem freigestellt, was für Bilder dazu im eigenen Kopf entstehen mögen. Erst auf Brötzmanns letzter Veröffentlichung: »Der Abend der schwarzen Folklore«, setzte auch er endlich mehr die Stimme ein, aber seine eigene Befürchtung, daß »der Gesang durch die Leidenschaft, Gitarre zu spielen, unterdrückt« wird, trifft komplett zu. Der Gesang dient einzig dazu, den Stimmungsberichten eine zusätzliche Klangfarbe zu verleihen. Die Worte sind belanglos, bieten keine Message oder gar Hilfestellung, bei Caspar Brötzmann ist man alleingelassen mit den Tönen, die da fallen, muß man sich den eigenen Kopf aufmachen. Seine Band heißt nicht umsonst »Massaker«, denn auf der Bühne werden noch extremer die Töne gezerrt und die Harmonien zerfetzt. Zusammensetzen muß sie der Zuhörer. Das mag Arbeit sein und wesentlich anspruchsvoller als die meiste andere Musik. Dafür führt dieses Massaker nicht notgedrungen zur Verblödung.

Am 28.8. um 21 Uhr im Tacheles, Oranienburger Straße 56, Mitte

Durchaus vergleichbar mit Brötzmann sind ihre Ansätze, auch wenn Taegk und Yref ganz sicherlich keine solchen Einzelkämpfer sind. Hervorgegangen sind sie aus engen Ostberliner Künstlerverhältnissen, der gehobene Anspruch war programmiert. Yref spielt zwar seine Gitarre auch in diversen Bands, aber erst Solo schöpft er ausgiebig aus, was die sechs Saiten so zu bieten haben. Ganz bewußt benutzt er dabei verrostete Gerätschaften, genauso wie verzogene und verstimmte Instrumente. Die Gitarre beginnt ein Eigenleben zu entwickeln, zeigt unterschiedliche Reaktionen auf gleiche Aktionen, wehrt sich oder gibt sich hin, besitzt scheinbar eine Seele, die es erst noch zu entdecken galt. Vor allem aber ist für Yref das Instrument eben nicht Mittel zum Zweck, sondern selber Zweck, die Gitarre diesmal Hauptperson. Sie darf, was sie will, sanft unterstützt vom Musikanten.

Taegk sind ein Duo, das seine percussiven Abenteuer ausführlichst mit elektronischen Klängen anreichert. Zusammengefunden haben sich die beiden Schlagzeuger, weil sie die Profilneurosen anderer Musiker leid waren, vielleicht auch, um nicht mehr nur im Hintergrund stehen zu müssen. Gebaut haben sie zwei Batterien aus Schwarzwälder Baumstämmen beziehungsweise aus Stahlfässern und erzeugen damit klingende Rhythmen, die in der großen Bandbreite zwischen dem brutalen Gekloppe der Neubauten und stroboskophektischen House-Beats changieren. Zuletzt gewann man den Senatsrockwettbewerb.

Am 28.8. um 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 7, Treptow

Neuestes Kapitel aus unserer beliebten Reihe »Wahnwitzige Lebensläufe«: Es war einmal eine Band namens »Youth Of Today«. Sie spielte klassischen Ami- Hardcore und erlangte durch dieses Tun eine gewisse Popularität. Doch plötzlich geschah das Unfaßbare: Sänger Ray Cappo konvertierte zum Krishna-Jünger, schor sich die Haare und gründete eine neue Band namens Shelter, um fortan mit immer noch denselben politischen Grundvoraussetzungen zu völlig anderen persönlichen Schlüssen zu gelangen. Wer nun erwartet, daß Shelter New-Age-Getröpfel versprühen, muß leider enttäuscht werden. Shelter sind immer noch HC, auch die Texte klagen immer noch vor allem soziale Mißstände an, nur manchmal geht es mit Cappo durch: »Namas te Sarasvate Deve / Gaura-Vani-Pracarine / Nirvisesa-sunyavadi / Pascatya-Desa-Tarine.« Dieser Mann hat uns einiges zu sagen, nur was?

Am 28.8. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg

Auch wenn es den Anschein bei uns hat, daß ganz Italien auf Eros Ramazotti und vergleichbare Schnulzen steht, gibt es natürlich auch dort einen Underground, der allerdings nur selten den Weg in den Norden findet. Lion Horsa Possa stammen aus Mailand und spielen eine verwirrende Stilmixtur aus HipHop mit Punkeinsprengseln und Reggae-Einflüssen. Da gibt es Songs, die nur aus Geklatsche und Fußballchören bestehen, extrem kurze Off-Beat-Schnipsel, dahinter eine sägende Gitarre, Filmmusikeinspielungen, mehrere Rapper und was das Herz sonst noch begehrt. Zwar sehr verwirrend, aber eben auch extrem tanzbar. Dazu spielen dann noch Mad Monster Sound aus Hameln, die zwar angeblich vom Ska kommen, aber sich eher anhören wie die sehr, sehr frühen Toten Hosen, inklusive deutscher Texte.

Am 29.8. um 22 Uhr im K.O.B.

Jetzt, da Hardcore schon fast wieder tot ist, werden die alten Helden erst so richtig geehrt. In deren Fahrwasser kommen dann andere hoch. Seit Bad Religion als die letzte wahre Punkband gefeiert werden, finden auch die anderen Bands auf ihrem Label »Epitaph« mehr Aufmerksamkeit. Pennywise gehören dazu, und dies ist unüberhörbar. Genau derselbe vorwärtstreibende, sich gnadenlos überholende Beat mit den extrem schnellen und trotzdem schönen Melodien. Das heißt dann Hardcore-Pop oder Pop-Punk oder so und macht Spaß. Dazu dann noch Angelus, ein Vertreter der Gattung Schweinerock, die in Berlin einfach nicht aussterben will.

Am 29.8. um 21 Uhr im SO 36, Oranienstraße, Kreuzberg

Ein Konzert der Merricks anzukündigen ist ein Glücksspiel. Die Umbesetzungen sind nicht mehr aufzuzählen, die angegangenen Stile auch nicht. Daß dies so ist, liegt auch nicht zuletzt am überzeugten Dilettantismus, der dazu führt, daß man eben spielt, was man kann (oder auch nicht). Und das wiederum ist natürlich extrem davon abhängig, wer gerade in der Band ist. So singen sie mal deutsch, mal englisch, sind mal ernst, mal schlicht dämlich. Mal nehmen sie ein Stück mit den Kindern der Musikschule Germering auf, mal machen sie lyrische, düstere Stücke, die nur von Kirchenorgel getragen werden. Mal benutzen sie Kinderinstrumente, mal richtige. Nichts Genaues weiß man nicht, kann man nicht wissen: Laßt Euch überraschen!

Am 29.8. um 22 auf der Insel

Noch vor nicht mal einem halben Jahr wurden die Smashing Pumpkins aus Chicago als das nächste neue große Ding apostrophiert. Doch es ging ihnen wie so vielen anderen potentiellen großen Dingen: Sie wurden es nicht. Immer noch agieren sie auf einem Level, daß sie Sessions beim Indie-Altmeister John Peel aufnehmen. Doch eigentlich war von vornherein klar, daß die Pumpkins nicht den Weg der Nirvanas dieser Welt gehen würden. Sie haben zwar ihre eingängigen Momente, manchmal spielen sie gar eine samtene Ballade, aber immer waren sie darauf bedacht, diese Elemente nicht in ihren vorzugsweise gespielten, sehr groovigen, aber trotzdem hart rockenden Core einfließen zu lassen. Sie vereinten die verschiedenen Stile nicht, sie stellten sie harsch nebeneinander. Genau daraus konnte der Reiz ihrer Musik entstehen, weil vieles nur angedacht, aber nicht ausgeführt wurde, weil sich alles abrupt und überraschend abwechselte. Sicherlich eine sehr, sehr gute Rockband, sogar innovativ, wenn man das Wort noch benutzen dürfte, aber das Major-Label Virgin hat schon umsatzsteigerndere Investitionen getätigt.

Am 1.9. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg

Dies ist die beste Band der Welt. Jedenfalls glaubt das die Band selbst, und es gibt einige, die sich ihnen anschließen. Hervorgegangen aus der Chicagoer Punk- Szene, begannen Urge Overkill sich wie Stars zu benehmen, als sie definitiv noch keine waren. Noch immer sind sie keine, noch immer benehmen sie sich so, ziehen schreckliche Klamotten an, von denen sie glauben, daß sie stilbewußt seien, hängen sich riesige goldene Medaillons um den Hals, die das Kürzel »UO« tragen, und pflegen ihre fettigen, strähnigen, halblangen Haare. Kurz, sie sehen zum Kotzen aus. Aber sie erfinden den Rock neu. Im ersten Moment mag ihre Musik eher rückwärtsgewandt klingen, aber sie verpassen den elektrischen Gitarren, was ihnen lange Zeit fehlte: eine gute Portion Soul. Anstatt sich an den dröhnenden Geschwindigkeitsexzessen ihrer Kollegen zu beteiligen, stellen sie Stilbewußtsein und offensichtlich gefakte Gefühle über alles und erinnern von der Herangehensweise eher an Marvin Gaye als an irgendeine weiße Rock-Kapelle. Sie singen traurige Grablieder zum Ende des Vinyls oder covern Neil Diamonds »Girl, You'll Be A Woman Soon«. Unnötig zu sagen, daß die Version von Urge Overkill nichts mehr hat von Diamonds schwülstigem Spanientourismus, sondern eben eine bedrohliche Reise in die dunkle Zeit der Pubertät ist.

Am 3.9. um 20.30 Uhr im Loft Thomas Winkler

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