DURCHS DRÖHNLAND: Mädchen, Mädchen, Mädchen & Autos, Autos, Autos
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Wenn eine Berliner Band den Beweis antreten könnte, daß deutscher Soul möglich ist, wären dies Big Savod and the Deep Manko. Weit entfernt vom bei Ostberliner Kapellen so gerne gepflegten Kunstanspruch posaunen und fiedeln die adretten jungen Herren gar romantisch von Leid und Freud der Liebe. Dabei sind ihre Bläser so zackig und ihre Melodien so schmelzend, daß Gefühl hier mit Seele übersetzt werden darf.
Am 18.9. um 22Uhr im Club Atelier 89, Greifswalder Straße 89, Prenzlauer Berg
Die australische Szene ist eine extrem inzestuöse. Aus zwei großen Bands der ausgehenden siebziger beziehungsweise beginnenden achtziger Jahre rekrutierte sich die Hälfte aller folgenden Bands, während sich die restliche Hälfte auf eine dieser Bands berief. Die große Zeit der Radio Birdman-Brut scheint vorbei zu sein, doch die Nachkömmlinge des Scientists-Clans haben offensichtlich eine längere Laufzeit. Momentan präsenteste Vertreter der nachwissenschaftlichen Inzucht sind Kim Salmon & The Surrealists, Beasts of Bourbon und eben die Dubrovniks. Gegründet wurden sie von der Rhythmusgruppe der verblichenen Scientists, aber lange waren die Dubrovniks nur ein Nebenprojekt, weil James Baker und Boris Sujdovic hauptberuflich noch für die Beasts Of Bourbon trommelten und den Baß zupften. Auf ihrer ersten Platte »Dubrovnik Blues« spielten sie einen selten vorher so knochentrocken gehörten Bluesrock, der regelrecht durch die Ohren staubte. Als befänden sie sich auf der Suche nach der letztgültigen und letztmöglichen Ausformung des Rock 'n' Roll, ging man zu den archaischen Urformen zurück, spielte keinen Ton zuviel und widmete sich ganz den einschlägigen und einfachen Themen, die da wären: Mädchen, Mädchen, Mädchen und Autos, Autos, Autos. Das Ganze dann aber mit einem Augenzwinkern und so essentiell und reduziert vorgetragen, daß neben dem platten Spaß die offensichtliche Freude am fast schon musiktheoretischen Vorgehen hervorstach. Die zweite LP versuchte sich an poppigeren Klängen, war etwas schwächer, und jetzt auf der dritten, »Chrome«, hat man die schönste Synthese aus Trockenheit und guten Melodien gefunden. In manchen Momenten erinnern die primitiven Gitarrenriffs, die so schwer und trotzdem federleicht im Raum stehen, an die großen Tage Gary Glitters und des Glamrocks. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Der Bandname ist kein schlechter Witz, sondern schon lange vor Ausbruch des Krieges in Ex-Jugoslawien entstanden.
Am 19.9. um 21Uhr im Huxley's Jr., Hasenheide 108-114, Kreuzberg
Mitte der achtziger Jahre, als in Europa massenhaft die oben andeutungsweise beschriebene Australien-Connection entdeckt wurde und die Bands vom fünften Kontinent einen unglaublichen Boom hier erlebten, rückte auch Neuseeland ins Blickfeld. Während die Aussies eher für ihre archaische Position zum Rock geschätzt wurden, produzierten die Kiwis leichten, luftig-locker swingenden Gitarrenpop. Ausnahme bildeten damals schon The Clear, nicht zu verwechseln mit den ebenfalls neuseeländischen The Clean. Als diese sich im letzten Jahr reformierten, benannten sich The Clear in Lung um, auf daß keine Verwirrung entstünde. Zur gleichen Zeit begannen sie, behutsam Samples in ihren Sound einzubauen, die dem monotonen, dumpf rollenden Wave-Rock einen Hauch von Industrial verschafften. Doch in erster Linie sind Lung eine Rockband geblieben, die an frühe Siouxie & the Banshees erinnern, aber auch durchaus in der Lage sind, mittels atonaler Exzesse ihren Songs einige dramaturgi-
sche Höhepunkte zu bescheren. Lung sind zwar nicht melancholisch, aber auch nicht eindeutig depressiv. In die dunkle Verzweiflung mischt sich eine Spur latenter Wut, die aber nie wirklich zum Ausbruch kommt. Aus dem Warten auf die Explosion nährt sich die Spannung ihrer Musik.
Am 19.9. um 22Uhr auf der Insel, Alt- Treptow 7, Treptow
Fast wissenschaftlich versuchen Sun aus Mönchengladbach Psychedelia aus den Sechzigern mit hardrockenden Motiven aus den Achtzigern zu verquicken. Dabei greifen sie auf eine ungewöhnliche Besetzung zurück: Gesang, eine Gitarre, Schlagzeug, nicht mehr. Komischerweise vermißt man nichts auf ihrer Platte. Wie bei einem guten Thriller ist das Gehörte/Gesehene nur Katalysator, setzt sich das Fehlende im Kopf zum vollständigen Bild/Sound zusammen — wobei bei Sun die Auslassungen nicht in Breaks bestehen, sondern eben im Fehlen eines Basses oder einer Leadgitarre. So offenbart sich deutlich die Struktur ihres Rocks, darin liegt ihr Reiz: in den wenigen Tönen, die sich doch zu einem überaus lauten und gewaltigen Ganzen zusammenfügen.
Am 19.9. um 22.30Uhr im Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg
Schon die neuen Nirvana gefunden? Ich auch nicht, aber einige meinen, die Afghan Whigs sind nah dran. Das speist sich vor allem daraus, daß diese ebenfalls auf SubPop herauskommen und Sänger Greg Dulli mit einer ähnlichen Stimme nicht unähnliche Melodien wie Kurt Cobain singt. Doch es trennt sie auch einiges. Zuerst einmal sind die Afghan Whigs nicht aus Seattle, sondern aus Cincinnati, Ohio, und während sie auf ihren ersten Veröffentlichungen noch durchaus nach Grunge klangen, haben sie auf ihrer bisher dritten und letzten LP »Congregation« eine wesentlich leichtfüßigere Gangart eingeschlagen. Vor allem die Rhythmen klingen eher nach englischem Gitarrenpop als amerikanischem Rock. Diese Entwicklung dürfte vor allem am
diesmaligen Fehlen des SubPop-Hausproduzenten Jack Endino liegen. Dadurch konnte die persönliche Vorliebe der Bandmitglieder für schwarze Musik, vor allem HipHop und Funk, erstmals zum Tragen kommen. Die Whigs adaptieren allerdings keine Funk- Rhythmen wie die Red Hot Chili Peppers oder andere, sondern bringen schlicht den altmodischen 4/4 zum Swingen. In der Melodieführung und den Gitarren sind sie aber immer noch so pur Rock, daß die Behauptung, sie hätten bis zu ihrer Deutschland-Tournee 1990 weder »Pretty Vacant« von den Sex Pistols noch »I Wanna Be Your Dog« der Stooges überhaupt gekannt, recht unglaubwürdig ist.
Am 20.9. um 23Uhr im Huxley's Jr.
Erinnern wir uns einmal an Sade. Im Jahr, als der Yuppie erfunden wurde, wisperte sie den Soundtrack dazu. Anschließend wurde diese gern abfällig »Cocktail-Jazz« genannte Musik massenkompatibel und zog eine Menge zweitklassigen Nachwuchs nach sich. So auch Carmel, die das hypercoole Getröpfel um dezente Bebop-Anleihen erweiterte. Während man von Sade kein Hauchen mehr hört, gibt es Carmel immer noch, wenn auch wesentlich poppiger, noch eingängiger und immer noch sehr sehr weiß, auch wenn die rekrutierten Musikanten meist schwarzer Hautfarbe sind. Kaminfeuermusik für den träumerischen Banker von nebenan.
Am 21.9. um 20Uhr im Metropol, Nollendorfplatz, Schöneberg
Jedesmal, wenn ich das Wörtchen »Jazzrock« höre, zucke ich unweigerlich zusammen, weil mich das an manche unausstehlichen Klänge aus den Siebzigern erinnert, die ich nur zu gerne vergessen hätte. Auch die Dresdner DEKA Dance werden allzuoft mit diesem Label versehen, dabei haben sie sich doch selbst ein viel besseres gegeben: Bläserrockjazzfunkhuberswing. Da ist alles drin, sogar ihr unvergleichlich dämlicher Humor. Und der ging nicht nur den Exponenten des Jazzrocks in den Siebzigern ab, man erwartet ihn auch nicht unbedingt aus Sachsen. DEKA Dance sind viel zu lustig und viel zu schade, um als Identitätsstiftungsband für Neubundesbürger zu verkommen, aber neben den ausführlichen Tourneen durch die neuen Bundesländer hat man sich leider erst in Angola eine größere Fangemeinde erspielt. Kabarett und harte Bläsersätze, musikalische und musikfremde Zitate, sächsisches Englisch und... live immer besser als auf Platte.
Am 20.9. um 22Uhr im Franz, Schönhauser Allee 36-39, Prenzlauer Berg
Wieder mal ein gutes Beispiel dafür, daß die Hirnpotenz nicht umgekehrt proportional mit der Haarlänge zusammenhängt, sind Testament. Sie repräsentieren nicht nur den in letzter Zeit schwer in Mode gekommen intellektuellen Heavy Metal, sie zählten neben Anthrax, Metallica und Slayer auch zu den Pionieren des Trash Metal. Wie auch die anderen haben sie sich inzwischen zu langsameren Rhythmen entschlossen und die Helden aus den Siebzigern und Achtzigern wie Black Sabbath und Iron Maiden entdeckt. Im Gegensatz zu Metallica haben sie den ganz großen Sprung noch nicht geschafft, auch weil sie immer nur wie deren kleinere Brüder daherkamen. Um dem abzuhelfen, hat man für das letzte Album »The Ritual« etwas artfremde Produzenten gewählt: Tony Platt hat früher für AC/DC, Nigel Green gar für Def Leppard und Bryan Adams gearbeitet. Wer also noch den schnellen Trash der frühen Tage erwartet, wird reichlich enttäuscht sein, denn »The Ritual« ist chartsfähig. Auch textlich haben sie sich stark verbessert. Statt dem bei anderen üblichen Splatter-Blutgespritze oder dem Fantasy-Geblubber, widmen sich Testament dem drögen Alltag, dem Älterwerden, der Medienkritik, Kriegsgefangenen oder den Gedanken eines Todeskandidaten auf dem elektrischen Stuhl.
Am 24.9. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt Thomas Winkler
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