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DSU stellt Allianz in Frage

Parteivorsitzender Ebeling distanziert sich vom Grundsatzpapier der Fraktion Gewerkschaftsgesetz soll abgeschafft werden / Kompromiß bei der Atomenergie  ■  Aus Ost-Berlin Walter Süß

Die Koalitionsvereinbarung war noch nicht abgesegnet, die Regierung noch nicht gewählt, da grenzte sich die rechtskonservative DSU bereits von der Allianz ab. Gestern mittag verlas DSU-Fraktionssprecher Jürgen Schwarz in reichlich aufgeregter Tonlage ein „Grundsatzpapier“ zur künftigen Politik seiner Partei. Er begründete das mit den Worten: „Wir brauchen jetzt Koalitionsrücksichten... nicht mehr zu nehmen“, und: „Wir sind der Meinung, wir grenzen uns jetzt in unseren Aussagen ab, und wir werden Alternativen anbieten, und das kann durchaus auch im Widerspruch zur Allianz sein.“ In dem Papier selbst steht zu lesen, die DSU sei der Allianz beigetreten, um „eine Zersplitterung der Kräfte der Mitte (zu) verhindern. Diese Aufgabe sehen wir mit dem heutigen Tag als erfüllt an.“ Parteivorsitzender Ebeling hat sich von diesem Papier inzwischen distanziert. Es sei von der Fraktion ohne sein Wissen erarbeitet worden, er stehe zur Koalitionsregierung.

In dem Papier bemüht sich die Partei, deren Protagonisten im Oktober noch hinter dem Ofen oder verschlossenen Kirchentüren saßen, sich als die schärfsten Richter über die Vergangenheit zu profilieren. Die Rechtspopulisten fordern „Beschlagnahmung des unrechtmäßig erworbenen Vermögens aller führenden Funktionäre“, „konsequente Bestrafung der Schuldigen an dem Desaster“ und anderes mehr. „Alle durch die Modrow-Regierung verabschiedeten Gesetze“ sollen überprüft werden. Daß auch ihre Freunde von CDU und Liberalen diese Gesetze mitzuverantworten haben, findet in dem Papier keine Erwähnung. „Das Gewerkschaftsgesetz ist zu annullieren. Dieses Gesetz ist mit der sozialen Marktwirt Fortsetzung auf Seite 2

schaft unvereinbar.“

Hans Modrow, der kurz nach der Verlesung zufällig des Weges kam, kommentierte diese Forderung in seiner gewohnt ruhigen Art: „Da wird man sich noch einmal mit den Gewerkschaften zusammensetzen müssen, oder die Gewerkschaften - davon gehe ich auch aus - werden

ihr Gesetz auch vertreten.“

Die Koalitionsverhandlungen sind unterdessen gestern in den Sachthemen abgeschlossen worden. Heftige Auseinandersetzungen gingen dem unter anderem in der Arbeitsgruppe Ökologie um die Zukunft der Kernenergie voraus. Während die SPD in die Vereinbarung als Ziel den „mittelfristigen Ausstieg“ hineinschreiben wollte, war die CDU dazu nicht zu bewegen. Schließlich einigte man sich darauf, daß die „Übergangsregierung“ keine „strategische Entscheidung“ - weder für noch gegen die Atomenergie treffen dürfe. Das AKW Greifswald soll nicht sofort abgeschaltet werden, aber einer neuerlichen Sicherheitsüberprüfung unterworfen werden. Neue AKWs sollen von dieser Regierung nicht geplant werden.

Weitere Streitpunkte waren die Privatisierung des Volkseigentums und - wie SPD-Fraktionsvorsitzender Schröder sagte - „eine kleine Verfassungsdiskussion“. Die Ergebnisse sind in beiden Punkten bisher nicht bekannt. Zur Privatisierung erklärte der designierte Wirtschaftsminister Gerhard Pohl

(CDU), die Bürger sollten Anteile daran erwerben können. Die SPD hatte die unentgeltliche Ausgabe von Volksaktien an alle Bürger gefordert.

Fest stehen inzwischen einige weitere Ministerkandidaten: Für die SPD wird Regine Hildebrandt (48), eine Biologin aus Berlin, das Ministerium für Arbeit und Soziales übernehmen. Postminister wird Emil Schnell (36), Physiker aus Potsdam. Landwirtschaftsminister wird Peter Pollack (59), Agrarwissenschaftler aus Magdeburg, Ministerin für Handel und Touristik wird Sybille Reider (40), Juristin aus Leipzig. Beide gehören ebenfalls der SPD an.

Die Volkskammer tritt heute zu ihrer zweiten Sitzung zusammen. Sie wird die neue Regierung wählen und eine Reihe von Erklärungen verabschieden, unter anderem zur Invasion in der Tschechoslowakei 1968, zur Judenverfolgung, zum Verhältnis zur UdSSR und zur polnischen Westgrenze. Die Regierungserklärung soll dann in einer Sitzung am Donnerstag kommender Woche vorgetragen werden.

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