DOKUMENTATION: Frankfurt für alle
■ Salman Rushdies Brief an 'Lettre‘: „Eine Änderung der Messepolitik würde ich keinesfalls billigen.“
Etwa einen Monat vor der Frankfurter Buchmesse habe ich mit den Veranstaltern der Messe telefoniert. Sie ließen mich wissen, daß sie beabsichtigten, einige iranische Verleger einzuladen. Offenbar standen sie unter großem politischen Druck.
Im Hinblick auf die erst kürzlich erfolgten Angriffe gegen zwei Übersetzer sowie der anhaltenden Bedrohung meines eigenen Lebens (die erneut verkündete Fatwa, das erhöhte Kopfgeld) würde mich jede Abschwächung der Messehaltung sehr enttäuschen. Ich habe gesagt, daß ich eine solche Änderung der Messepolitik keinesfalls billigen würde.
Am Ende unseres Gesprächs war ich der festen Überzeugung, daß die Frankfurter Buchmesse die Politik in dieser Angelegenheit nicht ändern wird.
Ich war daher überrascht und etwas besorgt, als ich zu hören bekam, daß die iranischen Verlage schließlich doch eingeladen wurden und war erst recht bestürzt, als es hieß, die Messeveranstalter würden sich darauf berufen, ich selbst hätte Verständnis für ihre Entscheidung gezeigt.
In einem Statement der Zeitschrift 'Stern‘ habe ich gesagt — nur um dies hier festzuhalten —, daß ich diese Änderung der Politik nicht gutheißen kann. Ich möchte dem 'Stern‘ für seine Hilfe in dieser Sache danken.
Als die Messe auf die öffentliche Empörung schließlich reagierte und die Entscheidung von 1989 erneuerte, war ich natürlich sehr erleichtert. Da das Statement an den 'Stern‘ damit hinfällig geworden war, wurde es auch nicht mehr veröffentlicht. Doch nun scheint es mir angebracht, ihnen allen meine Überlegungen darzutun.
Die ursprüngliche Entscheidung der Messe, die iranischen Verlage auszuschließen, war eine Geste des Protestes gegen terroristische Bedrohung und eine Verteidigung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung.
Die Bedrohung ist nicht geringer geworden. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist heute ebenso wichtig wie 1989.
Die Messerveranstalter haben sich in letzter Zeit oft auf den Grundsatz eines „Frankfurts für alle“ berufen. Ich unterstütze diesen Grundsatz ganz und gar, sobald dieses „alle“ mich selbst auch einschließt. Da es für mich immer noch zu unsicher ist, selbst zur Buchmesse zu kommen, und da die Veranstalter so ängstlich sind, daß ihnen nicht einmal der Gedanke behagt, ein Foto von mir auszuhängen, hoffe ich, daß die Entscheidung von 1989 bestehen bleibt. Wenn ich irgendwann selbst wieder zur Messe kommen kann, frei und ohne Gefahr, dann sollen natürlich alle anderen auch kommen können.
Vielen Dank für ihre Entschlossenheit und Freundschaft. Salman Rushdie
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen