DOKUMENTATION: Absage
■ Herrn Dr. Bernhard Vogel, Vorsitzenden der Konrad-Adenauer-Stiftung
Sehr geehrter Herr Vogel,
besten Dank für Ihren Brief vom Juli 1992. Sie laden mich und einige andere Schriftsteller für zwei Tage nach Weimar ein, unter Berufung auf einen „Dialog zwischen Schriftstellern und Politikern“, der auf unserem Treffen 1990 in Schloß Eichholz begonnen hätte und 1991 in Berlin vertieft worden sei. An die Begegnungen kann ich mich erinnern, an einen „Dialog“ beim besten Willen nicht.
Das Elend solcher Gespräche beginnt damit, daß wir unter den gleichen Worten etwas vollkommen anderes verstehen. „Dialog“ — Politiker meinen damit eine Form der Begegnung, die am Ende zu einem Konsens führt, einen Kompromiß ermöglicht. Selbstverständlich muß es schnell gehen, Sie sind mit Terminen überhäuft und haben wenig Zeit. Nachher wird ausgiebig zusammen gegessen, wozu die Zeit immer ausreicht — ein besänftigendes Ritual.
Wir, ein Dutzend eingeladene Literaten, die meisten mit trauriger DDR-Erfahrung, haben unsere Unzufriedenheit mit der CDU-Regierung zum Ausdruck gebracht, haben Ihnen vorausgesagt, daß eine Politik, die das gestrige Verbrechen begünstigt, scheitern muß. Wir haben daran erinnert, daß die CDU seit vielen Jahren mit dem SED-Regime kollaboriert hat, daß sie bis heute die früheren Täter begünstigt und die Opfer unterdrückt. Ich erinnere mich an das Wort, mit dem ich diese Entwicklung bezeichnete: pathologisch. Daß wir zu undeutlich gesprochen hätten, können Sie nicht behaupten. Nur ist, was wir sagten, bei Ihnen undeutlich oder gar nicht angekommen.
Die meisten deutschen Politiker haben ein verdorbenes Verhältnis zur Sprache. Im geschriebenen oder gesprochenen Wort sehen sie nichts als die Möglichkeit, Wahrheit zuzudecken, wo wir sie aufdecken wollen. Das ist der tiefe Gegensatz, um den sich nicht herumreden läßt, und die Kluft zwischen Politik-Sprache und Literatur-Sprache wird im heutigen Deutschland täglich tiefer. Deutsche Jugend zündet Häuser an, rechtsradikaler Mob krakeelt und wirft Bomben. Jüdische Friedhöfe und Denkmäler werden verwüstet, als Vorgeschmack auf Altbekanntes. Es kann geschehen, was will: von Ihrer Partei hören wir nichts als beschönigendes, machterhaltendes, die eigene Schuld leugnendes Gerede. Erwarten Sie von mir, daß ich einstimme? Wie könnte es einen „Konsens“ zwischen Ihnen und mir geben in diesen Tagen, in denen die Juden in Deutschland von neuem in Angst leben müssen?
Sie sind, Herr Vogel, bereit, uns anzuhören, das unterscheidet Sie vom Bundeskanzler, der Schriftsteller und Intellektuelle wie eine gefährliche Infektion von sich fernhält. Dabei könnte er ganz unbesorgt sein: Intelligenz ist nicht ansteckend! Aber Anhören ist viel zu wenig, noch dazu, wenn Sie nicht wirklich zuhören. Ihrem Brief liegt vorsorglich eine Liste mit „Themenvorschlägen“ bei, verbunden mit der „Bitte, sich zu einem der Themen Gedanken zu machen, damit in einem kurzen Statement die jeweiligen Erfahrungen eingebracht werden können“. Das ist Politikersprache, übersetzt hieße der Satz: „Wir erwarten Ihre Beratung und Hilfe“. Hilfe haben Sie nötig, das ist wahr. Ich wende mich an Sie, weil Sie mich eingeladen haben; hinter Ihnen steht jedoch ihre Partei, die CDU, die mit Schriftstellern und anderen von Hause aus kritischen Geistern seit jeher nicht viel anzufangen weiß. Die Politik der Regierung ist danach, ihr fehlt jede Idee und jede Gestalt, sie ist — in diesen Tagen wird es überdeutlich — bloß noch sinnloses Herumlavieren.
Anders als Sie habe ich schon Jahre vor dem Fall der Berliner Mauer über die „deutsche Frage“ nachgedacht, obwohl es für einen Juden weiß Gott interessantere Probleme zu bedenken gibt. In meinem Buch „Nachtgedanken über Deutschland“ bin ich deutschem Unwesen noch einmal nachgegangen, auf meine Art, auf die eines Literaten deutscher Zunge im mehr und mehr verwildernden Land. Vor dem, was jetzt geschieht, habe ich seit Jahr und Tag gewarnt. Sie hätten früher auf mich und andere Intellektuelle hören sollen. Sie hätten früher als jetzt, da der Haß die ostdeutschen Nester in Flammen setzt, in uns etwas anderes sehen sollen als verdächtige Außenseiter.
Unser letztes Treffen war in Berlin. Ich habe Sie und die anderen Politiker von der CDU zu einer gemeinsamen U-Bahn-Fahrt eingeladen, durch den Untergrund und das Chaos der Stadt, damit Sie mit eigenen Augen sehen, was Sie lieber verdrängen wollen: Gewalt, Elend und Angst der von Ihnen verwalteten Bevölkerung. Ich vermeide das Wort „regieren“ — davon kann schon längst keine Rede mehr sein. Mein Vorschlag wurde als Scherz betrachtet, selbstverständlich hatten Sie zum U-Bahn- Fahren keine Zeit, ich erinnere mich an das herzliche Gelächter. Für Weimar haben Sie das Programm schon festgelegt: „Mittagessen, Berichte aus der laufenden literarischen Arbeit, Gang durch Weimar, Besuch des Goethe-Hauses beziehungsweise Schiller-Museums, Gespräch mit dem Ministerpräsidenten von Thüringen, Herrn Dr. Bernhard Vogel“.
Mittagessen kann ich zu Hause. Über meine laufende Arbeit „berichte“ ich niemandem, auch nicht CDU-Politikern. Weimar kenne ich, Goethe-Haus und Schiller-Museum, noch aus Zeiten, als Sie und Ihre Partei mit Honecker im besten Einvernehmen waren. Schließlich das Gespräch mit Ihnen, betont in der Rolle des Ministerpräsidenten: es wird nichts Neues bringen, Sie haben mich zweimal erlebt, ich kann Ihnen auch jetzt, da Sie ein ostdeutsches Land verwalten, nichts anderes sagen als vordem.
Mein Gegenvorschlag: Wir treffen uns das nächste Mal in Rostock- Lichtenhagen, in Berlin-Marzahn oder einem anderen Brennpunkt der östlichen Domäne, in der Ihre Partei plötzlich die Macht ausübt. Ein „Goethe-Haus beziehungsweise Schiller-Museum“ gibt es dort nicht, dafür deutsche Wahrheiten von heute. Neulich hatte die Leserbriefschreiberin einer deutschen Tageszeitung den Einfall, ein Asylantenheim „mitten in die Bonner Regierungsoase zu setzen“, damit Sie und Ihre Parteifreunde von der Bundesregierung die Feuer einmal aus nächster Nähe erleben. Übrigens kann es demnächst auch in der fernen Idylle Bonn brennen. Den ungehindert durchs Land streifenden Neo-Nazis ist unter dieser Regierung nichts unmöglich.
Sie haben über das Tagungsprogramm ein Motto setzen lassen, eine Passage aus Albert Camus' Rede „Der Künstler und seine Zeit“ von 1957. Camus fand, der Künstler müsse sich „wie die anderen ans Ruder setzen... In Tat und Wahrheit ist das nicht leicht, und ich begreife, daß die Künstler ihrer früheren Behaglichkeit nachtrauern.“ Dieses Motto heute zu setzen, ist unfair, denn es soll uns eine Verantwortung zuschieben, die sich Ihre Partei erschlichen hat. „Behaglichkeit“ hatte ich keinen Tag in meinem Leben, weder in der DDR, deren erklärter Gegner ich schon lange bin, noch in der alten oder neuen Bundesrepublik, wo man mich deswegen auf die hier übliche Art ausgrenzen und mundtot machen wollte. Der Vorwurf dieses Wortes trifft Sie: „Behaglichkeit“ ist ein Befinden, das in den Reihen Ihrer Partei chronisch zu Hause ist.
Ich werde nicht zur „Begegnung“ nach Weimar kommen, weil ich in der Politik Ihrer Partei keine Spur einer Besserung finde. Ihre Partei glaubte, mit verlogenen Versprechen bis hin zum Dummenfang wäre es getan. Und glaubt heute, wir müßten in einem Land, dem der Bürgerkrieg droht, zwei Tage lang Gespräche führen, die keine sind, gemeinsam essen und einen „Konsens“ erfinden, der so impotent ist wie die Politik Ihrer Partei.
Schon um Sie davon zu überzeugen, daß ich dem angeschlagenen Deutschland das Beste für die Zukunft wünsche, werde ich diesen Brief veröffentlichen. Die Öffentlichkeit ist unsere einzige Rettung in diesen Tagen, in denen Scharen von CDU-Politikern damit beschäftigt sind, ihre Mitschuld zu vertuschen. Wenn ich Ihnen aus der Entfernung einen Rat geben kann, dann nur diesen: Sehen Sie endlich der Wahrheit ins Auge. Um dieses Land steht es jämmerlich schlecht. Sorgen Sie dafür, daß Deutschland, an dem die Hoffnungen vieler Außenstehender hängen, unter der Regierung Ihrer Partei nicht gänzlich verkommt. Chaim Noll
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