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Archiv-Artikel

DIE ZEIT VERGEHT WIE IM FLUG UND LEICHT KOMMEN EINEM DABEI EIN PAAR STUNDEN ABHANDEN Die Taschen voller Schneehasen

VON LEA STREISAND

Philipp Hartmann hat einen Film über die Zeit gemacht, der dauert genau so viele Minuten, wie ein Mann in Hartmanns Alter nach statistischem Mittel Jahre zu leben hat: 76,5. Die Hälfte hat er schon. „Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe“ heißt das filmische Essay, das Paul und ich am Freitag auch beim zweiten Mal Gucken total großartig finden.

Die Bilder, die der Film für das Vergehen der Zeit findet, sind keine Klischees wie Börsenmakler im Ferrari versus Opa im Schaukelstuhl, sondern echte Fundstücke. Da steht eine verrostete Lokomotive mitten in der Wüste irgendwo in Lateinamerika, auf die jemand mit Kreide auf Spanisch den Satz geschrieben hat: „Das Einzige, was hier passiert, ist die Zeit“, wobei das spanische Wort „passar’“ auch „vorbeikommen“ bedeutet und das Wort für Zeit auch Wetter heißt. Der Regen wird die Worte später abgewaschen haben. Hartmann ist ein Kino-Nomade. Das hat der Filmtheoretiker Georg Seeßlen gesagt. Durch 66 Kinos in ganz Deutschland trägt Philipp Hartmann selbst seinen Film und stellt ihn vor. Das ist fünfmal so viel, wie ein vergleichbarer Film im normalen Verleih kriegen würde. In Berlin ist er wieder am 21. Und 22. 11 (www.zeit-film.de).

Die Zeit nach dem Film vergeht sehr schnell. Grad sind wir aus dem Arsenal raus und in die „Stadtklause“ am Anhalter Bahnhof eingekehrt, da sind auch schon drei Stunden rum und es ist eins. Die folgenden zehn Stunden sind mir abhanden gekommen.

Das merke ich, als ich am Samstag um elf in der Schaubude in der Greifswalder Straße stehe. Hell ist die Welt. Und laut!

Die Pyromantiker besiegen jeden Katzenjammer. Oliver Dassing und Marlis Hirche spielen Weißclown und dummen August. Der reiche Clown des Nordens mit amerikanischem Akzent und einer Tasche voller Schneehasen, will vom bunten Clown des Südens den großen weißen Elefanten kaufen. Aber „Elefanten vergessen nie“, so heißt das Kindertheaterstück mit den großen Tierfiguren aus Pappelholz, das einen den eigenen Kater vergessen lässt. Komisch und poetisch zeigen die Pyromantiker eine Globalisierungskritik für Kinder. Auf einer echten Drehbühne, die den Bühnenraum der Schaubude fast sprengt. Noch bis Donnerstag läuft an der Schaubude das Berlin Showcase Festival mit Puppen und Objekttheater für Kinder und Erwachsene.

Sonntagnachmittag gehen wir noch zu „Einar und Bert“, einer gerade neu eröffneten Theaterbuchhandlung in der Winsstraße in Prenzlauer Berg. Karsten Krampitz erzählt von der „Trinkerklappe“, die er 2004 mit Insassen einer Suchtklinik baute. In Analogie zu Babyklappen sollten Frauen hier ihre Alkoholikerehemänner abgeben können. Krampitz liest aus seinem Roman „Wasserstand und Tauchtiefe“, dem inneren Monolog eines Mannes an seinen Vater, der nach dem dritten Schlaganfall umnachtet, an Bett und Rollstuhl gefesselt vom Sohn betreut wird. Die Geschichte spielt in einem Dorf in Brandenburg, in dem der Vater zu DDR-Zeiten Parteifunktionär war. Krampitz schreibt klug und komisch zugleich. Sätze wie „Ekel ist nur ein Mangel an Erfahrung“ begleiten uns nach Hause. Und schon ist das Wochenende rum.