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Archiv-Artikel

DIE WORTKUNDE

Wer meint, die Polizei teilt die Gesellschaft in „kriminell“ und „nichtkriminell“ ein, unterschätzt die Kreativität der Beamten: Durch eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko (Die Linke) wurde publik, dass das BKA über eine Million Bürger mittels personengebundener Hinweise in 18 Kategorien wie „geisteskrank“, „Prostitution,“„Landstreicher“ oder „Ansteckungsgefahr“ einteilt – auch wenn sie nicht vorbestraft sind.

Betroffene werden nicht über die Einteilung informiert, auch nach welchen Kriterien das BKA vorgeht, ist unklar.

Das Wort „geisteskrank“ wurde im 19. Jahrhundert maßgeblich von der Identitätsphilosophie Friedrich Wilhelm Schellings geprägt, ab 1845 setzte sich für „Geisteskrankheit“ der Begriff „Psychose“ durch. „Geist“ (Denk- und Erkenntnisvermögen) geht auf das germanische „gaista“ (Ekstase, Gespenst) zurück, Wurzel ist das indoeuropäische „gheis“ (aufgebracht, bestürzt). „Krank“ (nicht gesund, leidend) stammt vom althochdeutschen „kranc“ (schwach) ab.

Das Vorhersehen von Straftaten ist ein uralter Traum der Kriminalistik, nicht erst seit „Minority Report“: Kriminelle kann man schließlich schon bekämpfen, wenn sie noch gar nichts getan haben – oder überhaupt kriminell sind.

Welche Gefahr von den über 8.000 bei der Inpol-Datenbank registrierten „Geisteskranken“ ausgeht, ist fraglich – das BKA sieht hier Geister und lässt sich davon erschrecken wie Menschen zu Zeiten vor der Aufklärung. Doch folgt die Polizei nur dem Trend der Geheimdienste: der anlasslosen Kriminalisierung aller. Michel Foucault hätte seine Freude gehabt an dieser barocken Ordnung der Welt in ein Tableau der Unangepasstheit. Leider fehlt die wichtigste und gefährlichste Kategorie: „Paranoiker“. ERIK WENK