DIE WERBEPAUSE : Wahl der Waffen
Dass manche ihr Leben einsetzen müssen, damit andere am Leben bleiben können, ist eine gern verdrängte Tatsache; und solange die Bundesrepublik noch nicht – wie die Republik bei „Star Wars“ – eine Klonarmee aufstellen kann, um böse Mächte in die Schranken zu weisen, so lange werden es Menschen sein müssen, die andere beschützen. Dass die viel beschriebene Gewalt im Berliner Nahverkehr sonst weitere Todesopfer fordern wird, führt einem gerade der Prozess um die Hetzjagd auf Giuseppe Marcone (Stichwort: U-Bahn-Schläger) vor Augen.
In der Berichterstattung wurde dabei an ein paar Fakten erinnert: Die Zahl der Gewaltdelikte in Bussen und Bahnen nimmt ab. Täter wie Opfer sind zumeist junge Männer, die Tatzeit liegt am Wochenende nach Mitternacht. Was aus dieser – altbekannten – Analyse allerdings folgt, ist mindestens merkwürdig: Seit August 2011 wirbt eine Aktion von Senat, BVG und Polizei für Zivilcourage. „Die Motive der Plakatkampagne zeigen Personen mit abgespreiztem Daumen und Zeigefinger, mit denen man den Notruf auslösen oder auch sein eigenes Handy bedienen kann“, heißt es in der Pressemitteilung. Nun gibt es gewiss praktikablere Fingerhaltungen zur Bedienung der genannten Geräte; aber natürlich will die Werbung auf etwas anderes hinaus. Sie postuliert, Hilfe rufen sei so gut wie eine Pistole in der Hand. Was deswegen behauptet werden muss, weil die meisten Leute keine scharfen Waffen bei sich tragen (dürfen). Geschossen wird eher in der Provinz (am Montagnachmittag München: Mann erschießt Ehefrau; am Montagabend Amorbach: Kopfschuss im Stadtkern).
Anstatt also ausgebildete Menschen eventuell mit realen Waffen an den Bahnsteigen zu postieren – und zwar, um einen Anfang zu machen, Freitag- und Samstagnacht –, wird die Illusion verbreitet, Giuseppe Marcone hätte ein Druck auf eine Rettungssäule retten können (erinnert sich noch jemand an den Fall Dominik Brunner?). Wo ein Menschenleben den Institutionen keinen Profi wert ist, dort sollen es Laien richten, die praktischerweise nichts kosten. Ob man Deutschlands Sicherheit so auch am Hindukusch verteidigen würde? Die Familie Marcone plant jetzt ein Mahnmal für ihren Sohn und andere Gewaltopfer. Bei aller Skepsis gegen Kunst im öffentlichen Raum: Unguter als die BVG-Kampagne kann das gar nicht werden. AW