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DIE WELTEN-KNABBERER

■ „Exu“ von Dance Berlin im Ballhaus Naunynstraße

Am Anfang war's bloß schön. Die fünf von Dance Berlin, vier Frauen und ein Mann, zogen gleich vereinzelten Planeten ihre beziehungslosen Bahnen umeinander, zischten manchmal so schnell vorüber, daß mir etliche Bilder in der Sekunde zu fehlen schienen, und sanken dann in ein Zeitlupentempo zurück. Einzeln brachen sie aus, heftig, geschüttelt, in kalter Leidenschaft und abstraktem Wahnsinn. Die Plötzlichkeit ihrer abrupten Bewegungen schien nicht ganz frei vom Verdacht maschineller Steuerung.

Aber dann: Ein Ritual muß sein. Feuerchen entfacht, im Kreis drumherum gehockt, Flammen trinken, schreiten. Das Feuer gehört allen, aus ihm steigt die Energie in die Tänzer, doch bevor der Kult peinlich werden könnte, beginnen schon die modernen Zeiten. Nicht ums Feuerchen mehr gesellt man sich, sondern um den Fernseher, aber nichts spendet der den armen Menschen an Kraft. Wohin mit den verlassenen Körpern, Unruhe fährt in sie hinein, sie suchen und wissen nicht, was. Etwas geht zwischen ihnen herum, treibt sie an, läßt sie beben, grapschen, zittern. Haben wollen. Irgendwas. Fernsehr, Telefon, Radio, Pelzmantel - aber keine Ruhe finden. Die kleinste, die als erste aussteigt aus dem Reigen des Konsums, steckt dann alle in die Tasche. Sie wird zu der, die die Menschen besitzt, zur allerbrutalsten und gemeinsten; sie läßt die anderen marschieren, lachen, apportieren. Die Japanerin Yoshiko Waki, die mit ihrer Kraft, ihrer Leichtigkeit und Biegsamkeit eh schon alle Trümpfe auf ihrer Seite hat, erweist sich in dieser Rolle zudem als gewitzte Pantomimin. So werden schließlich die Bilder, die anfangs zwar schön, aber auch diffus und sehr weit weg blieben, doch noch schärfer und deutlicher in der Interpretation der menschlichen Verlangen, die aus der Ruhelosigkeit des Körpers aufsteigen.

Leanore Ickstadt, die Choreographin, läßt zwei Tänzerinnen reden (wahrscheinlich in ihren Muttersprachen Japanisch und Finnisch). Der fremde Klang malt Laute, unterstützt die Erzählung des Körpers. Worte und Gesten scheinen auf einmal nicht mehr zwei getrennten Quellen zu entspringen, Körper und Kopf finden eine gemeinsame Syntax.

Zu einem einzigen Schlund, einem saugenden Begehren krümmen sich die Tänzer am Ende in das Publikum hinein. Exu sei der Gott des Hungers, belehrt das Programmheft. Er fraß die Welt auf und kotzte sie erst auf Befehl seines Vaters wieder aus. Da fraß er seine Mutter und wurde zur Strafe vom Vater in Stücke gehackt. Ganz so schön kannibalisch geht's bei Dance Berlin nicht zu, dazu packen sie ihre Wut in zu anmutige Formen und zwingen ihre Suchtanfälle zu absichtsvoll in komplizierte Strukturen, aber sie knabbern mit langen Zähnen am Weltenrund.

KBM

Dance Berlin, Exu, bis zum 19. März im Ballhaus Naunynstraße, um 20.30 Uhr.

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