DIE WAHRHEIT: Eine Blase voller Kultur
Das Veredlungswort "Kultur" will und will nicht untergehen.
"Kultur" ist längst ein Plastikwort, aus dem sich - das gesamte Alphabet rauf und runter - fast alles kneten lässt von der "Aktien-" bis zur "Zombiekultur". Die "Aktienkultur"-Blase, die der Schauspieler Manfred Krug einst gegen gutes Geld von der Telekom aufblasen half, ist ebenso geplatzt wie die alte sozialdemokratische "Streitkultur".
Der Basta-Kanzler Gerhard Schröder bereicherte einst eben diese sozialdemokratische "Streitkultur". Er übersetzte Carl Schmitts Kritik am Parlamentarismus - "alle reden, keiner entscheidet" - ins Starkdeutsche: "Ich entscheide, danach dürft ihr alle darüber reden".
Angela Merkel hat mit einiger Sicherheit von ihrem Vorgänger Schröder nur eines gelernt: "Handeln wie Schröder, aber reden wie Mutti". Sie käme nie auf die Idee, Westerwelle als Kellner zu bezeichnen wie der Koch Schröder seinen Mehrheitenservierer Fischer.
Sie nennt ihre Küchenbekanntschaft anheimelnd Guido und behandelt diesen wie einen Laufburschen. Dies ist der Fortschritt von der Schröder- schen Küchenhierarchie zur Merkelschen "Küchenbekanntschaftskultur".
Wo "Kultur" herrscht, bleibt nichts, wie es einmal war. Dr. Joseph Goebbels verstand es als Beitrag zur zeitgemäßen deutschen Kulturförderung, als er sich den Satz, "wenn ich das Wort Kultur höre, greife ich zu meiner Pistole", aus dem Drama "Schlageter" des Nazipoeten Hanns Johst (1890-1978) entlieh.
Im jüngeren Deutschland adelte der "cultural turn" die Putzfrau zur "Raumpflegerin", den Bauern zum "Kulturwirt" und die trötenblöde Deutschtümelei zur "Leitkultur". Ein Schweizer Minister riet den einheimischen Bauern zu tun, was die Gastwirte schon umsatzfördernd praktizieren. So wie diese ihren "Wein des Monats" sollten die Bauern ihre "Käse des Monats" anbieten, und die "Kultur des Käses" hegen und pflegen, um den Absatz anzukurbeln.
Und man muss wohl "Diplompsychologe und Markt- und Kulturforscher" sein wie Stephan Grünewald, um die "Protestkultur" rund um Stuttgart 21 so schlicht einzuordnen: "Weg vom Licht, rein in die Dunkelheit. So bildet Stuttgart 21 den Brennspiegel für viele gesellschaftliche Abstiegsängste und eine drohende Zweiklassengesellschaft: Ihr da oben - wir da unten."
Der militante Militärschriftsteller Max Jähns war in seinem Buch "Über Krieg, Frieden und Kultur" schon 1861 der Meinung, die Menschheit benötige in regelmäßigen Abständen "Kulturdünger" durch Krieg - also Menschenblut -, um sich vor dem Niedergang zu schützen.
Die Universitäten machen es heute bedeutend billiger: "Wasser für die wissenschaftliche Kultur" titelte jüngst eine Tageszeitung. Bei der Lektüre stellte sich heraus, dass mit dem Dünger "Wasser" ganz gewöhnliches Geld gemeint war, das sonst gern "Asche" genannt wird.
Schon vor 150 Jahren gab es in einem deutschen Konversationslexikon einen Artikel über "Kulturpolizei". Um dem Getue mit dem Wort "Kultur" den Garaus zu machen, sollte die "Kulturpolizei" durchgreifen, damit die "Kultur des Käses" und alle anderen sprachlichen Kulturderivate dorthin gelangen, wo die "Aktienkultur" schon friedlich ruht - im Orkus der unsterblichen Peinlichkeiten.
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