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DIE WAHRHEITLieber Markus Bräuer...

Ein offener Brief an den Medienbeauftragten der Evangelischen Kirche.

… machen wir uns nichts vor. Dass sich die Außendarstellung Ihrer evangelischen Kirche, in der Sie als Medienbeauftragter orientierungslos herumfuhrwerken, in letzter Zeit vergleichsweise harmlos ausnahm, lag hauptsächlich an den erbärmlichen Kapriolen und der unsäglich bornierten und über Jahrhunderte autistisch antrainierten Selbstgerechtigkeit Ihrer katholischen Mitbewerber. Umso schwerer wiegt da doch gleich der mediale Bock, den Sie dieser Tage geschossen haben.

Sich ernsthaft mit dem neuen RTL-Hokuspokus "Das Medium", in dessen groteskem Verlauf ein jämmerlich agierendes Witzfigurenduo mit der Tiefgründigkeit eines Suppentellers ungelenk Kontakt zu Toten vorschummelt, zu beschäftigen, ist mehr als müßig, da es sich dabei sogar für RTL-Verhältnisse um ein besonders verachtenswertes Schmierentheater handelt. Viel interessanter und um einiges bedenklicher ist hingegen Ihr Kommentar zum ausgerechnet auf den Reformationstag gepackten Sendetermin des "Mediums".

Besagter Feiertag stehe nämlich, wie Sie in der Leipziger Volkszeitung jammerten, für die "Verbindung von Glaube und Vernunft", und außerdem sei "eine Hellseherin, die behauptet, Kontakt zu Toten aufnehmen zu können, im 21. Jahrhundert überholt".

Und genau bei besagtem Reformationstagsmotto stellt sich doch jedem halbwegs vernünftig denkenden Menschen die nicht ganz unberechtigte Frage, was denn bitte schön Religion mit Vernunft zu tun haben soll? Und glauben die Ihren denn nicht auch an ein Leben nach dem Tod? Nur eben an eines, zu dem man keinen Kontakt über Laiendarsteller von RTL herstellen kann?

Beten Sie nicht aufgrund eines über die Jahrhunderte von einem Haufen unbekannter Autoren zusammengeschusterten heiligen Buches ein allmächtiges, jedoch dummerweise imaginäres Wesen an? Auf dass alles doch noch irgendwie gut gehe? Und das im 21. Jahrhundert? Kann es sein, dass Ihnen zwischen Ihrem eigenen verschwurbelten Aberglauben und der Realität etwas verloren gegangen ist?

Denn wo ist denn der spirituelle Unterschied zwischen dem erwähnten RTL-Format und einer flächendeckend überholten und dennoch nimmermüde grassierenden scheinheiligen Volksverdummung wie der der Religion? Also abgesehen davon, dass sich RTL durch Werbung und die Kirche - sowohl die evangelische wie die katholische - durch den Staat finanziert und sich damit quasi als öffentlich-rechtlicher Schwachsinn brandmarkt?

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Wenn Religion den Menschen dabei hilft, ihren Alltag oder was auch immer besser zu meistern, dann hat sie ja zumindest so etwas wie den Hauch einer weltlichen Absolution verdient. Aber mal ganz unter uns … alles in allem ist das, was Sie zu bieten haben, doch schon ziemlicher Unfug, oder?

Ich halte es bezüglich allzu gläubigem Gehusche lieber mit den rationalen Überlegungen des gesunden Menschenverstandes und schließe mit den Worten einer grundsympathischen Bemerkung, die der Anekdote nach vor rund 2.000 Jahren am See Genezareth gefallen sein soll: "Es ist mir egal, wer dein Vater ist. Solange ich hier angle, geht mir keiner übers Wasser."

Es grüßt: Jörg Schneider

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15 Kommentare

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  • JS
    Jörg Stemmer

    @ Daniel: Ja das ist "fast" nichts. Wenn die Kirche Ihre Verwaltung damit beauftragen würde, wären die Kosten wesentlich höher. Also ist das fast nichts!

  • D
    Daniel

    @Jörg: "Die Verwaltungskostenentschädigung liegt zwischen 2 Prozent und 4 Prozent des Aufkommens der Kirchensteuer." http://www.ekd.de/kirchenfinanzen/925.html

    Ist das "fast nichts"?

    Mag ja sein, dass das System "überholt" ist und es gute Alternativen gibt. Aber zu sagen, der Staat finanziere die Kirche, ist Quatsch.

  • J
    Jörg

    @ Daniel

     

    "Die Behauptung, die Kirchen würden vom Staat finanziert, wird nicht richtiger dadurch, dass sie möglichst oft - eben auch von der Wahrheit - verbreitet wird.

    Kirchensteuer? Die Kirchen zahlen für diesen Service des Staates, die Mitgliedsbeiträge einzusammeln, eben diesem Staate Geld."

     

    Den Satz würde ich ja noch mal überdenken. Das hört sich fast so an als würde das dann ein 0 Summenspiel sein. Wenn dem so wäre würde es ja keiner machen.

    Fakt ist, das die Kirchen für diesen Service fast nichts bezahlen. Fakt ist das wir die Trennung von Kirche und Staat haben und wir trotzdem dieses System aufrechterhalten. Fakt ist das ich in die Kirche automatisch umsonst reinkommen kann und wenn ich austrete muss ich Geld bezahlen. (was ich gerne getan habe).

    In einem Kirchlichen Land wie z.B. Polen ist man was die Zahlung der Kirchen angeht viel weiter, dort gibt es keinen Kirchensteuer, dort zahlen die Bürger das selber.

    Wenn das hier auch so wäre, dann würden wir aber schnell sehen wie wichtig den Deutschen die Kirche wirklich ist. Das System ist überholt. Schon lange.

  • LS
    le singe

    @ Jörg(!) Schneider

     

    gut, dann noch einmal ganz trocken: Eine Religion pauschal als "Volksverdummung" zu beschimpfen, zeugt von einer gewissen Borniertheit, Anmaßung und von viel Unkenntnis.

     

    Sie können mit dem Thema nichts anfangen und von Menschen mit religiöser Lebenshaltung haben Sie, Verzeihung, offensichtlich keinen Schimmer. Das ist auch okay, nur sollten Sie dann nicht darüber in der Zeitung schreiben.

     

    Das empfiehlt Ihnen mit freundlichen Grüßen

    le singe

    (konfessionsloser Agnostiker)

     

    P.S.

    Dagegen ist für Kritik an religiösen Institutionen und ihren Repräsentanten eine Zeitung genau der richtige Ort.

  • J
    Joba

    @hoko

    Für diese Behauptung bitte ich um eine belastbare Quellenangabe. Mir ist nicht bekannt, dass im Haushalt des Landes Baden-Württemberg, wo ich lebe, das Gehalt für zwei Landesbischöfe aufgeführt wäre. Schließlich gibt es keine Staatskirchen mehr und wieso sollte das Land Niedersachsen die Bischöfe von Schaumburg-Lippe, Hannover, Oldenburg und Braunschweig sowie den Kirchenpräsidenten (oder wie er heißt) der reformierten Kirche bezahlen, deren Landeskirchen, nicht aber die dazugehörigen Länder selbständig geblieben sind.

    Eine ganz andere Frage sind die zum Teil unbegrenzten Ausgleichszahlungen für verstaatlichte ehemals kirchliche Güter. Einige vertreten die Auffassung, dass deren Wert mittlerweile beglichen sei.

  • JS
    Jörg Schneider

    @ le singe,

     

    das haben Sie sehr schön erkannt - allerdings hätte etwas mehr Pathos schon sein dürfen. Im übrigen lege ich nicht den geringsten Wert darauf bekehren zu wohlen und fühle mich daher auch nicht so recht angesprochen. Eine Tatsache, die der mir von Ihnen untergejubelte Vorname "Bernd" noch unterstreicht.

     

    Beste Grüße,

    Jörg

  • H
    hoko

    @ Joba

     

    das ist nicht richtig, auch die evangelischen landesbischöfe werden aus dem normalen Haushalt bezahlt.

  • T
    tystie

    "Wenn Religion den Menschen dabei hilft, ihren Alltag oder was auch immer besser zu meistern, dann hat sie ja zumindest so etwas wie den Hauch einer weltlichen Absolution verdient."

    VORSICHT! So lassen sich auch Alkoholismus, Bankraub und die Laufzeitverlängerung von AKWs rechtfertigen. Das Motto 'Der Zweck heiligt die Mittel' ist auch auf religiösem Mist gewachsen! Für Leute, die in christlichem Milieu sozialisiert wurden, gehört eine beträchtliche Portion Selbstreflektion dazu, dessen Denkschemata nicht aufzusitzen.

  • J
    Joba

    @ hoko

    Soweit mir bekannt werden lediglich einige katholische Bischöfe in Bayern staatlich besoldet.

    Auf evangelischer Seite sind lediglich "Militärgeistliche" vom Staat bezahlt. Dies ist innerkirchlich heftig umstritten und wird von namhaften TheologInnen abgelehnt, weil eine falsche Abhängigkeit entsteht.

  • S
    sonnenkopp_11

    Elegant, wie Herr Schneider seine Erregung leichtfüßig vom RTL-Trash über den Medienbeauftragten der EKD auf ganze Religionsgemeinschaften überspringen lässt.

     

    Seine luzide Darlegung macht unmittelbar einsichtig, dass jede Form von Spiritualität und Religion "Unfug" ist. Das müssen wir jetzt nur noch schnell an alle weitersagen (denn vielleicht hat heute ja jemand die taz nicht gelesen und so diese so originelle wie auch bahnbrechende Einsicht verpasst), dann können wir uns vor den Kirchen des Landes versammeln und den Losungsspruch der neuen Aufklärung skandieren: "Solange ich hier angle, geht mir keiner übers Wasser!" Jawoll.

  • LS
    le singe

    Vielen Dank, Herr Schneider! Am 2.11.2010 (nach überkommener Zeitrechnung) ging also wirklich noch das lang ersehnte Licht der Wahrheit über dem Land auf. Wir sehen nun, dass wir in Dunkelheit lebten - und machen uns auf, den anderen paar Millionen, die von Spiritualität und Religion noch nicht befreit sind, zu verkünden: Es ist alles "Unfug"! Aber grämt Euch nicht und seid nicht verzagt, denn nun ist es erkannt - Bernd Schneider hat die "scheinheilige Volksverdummung" in den Staub geschleudert mit seinem prophetischen Wort, das auch Euch Millionen (Milliarden?) zum "gesunden Menschenverstand" bringen wird. Und seid gewiss: Er wird nicht ruhen und er wird nicht schweigen, bis kein Menschenkind unter diesem leeren Himmel mehr den letzten, schlechtesten Trost der Religion nötig hat. Wie lange mussten wir darauf warten, nun wird es vollbracht sein!

  • H
    hoko

    @ daniel

    und wer zahlt die bischöfe?

  • D
    Daniel

    Die Behauptung, die Kirchen würden vom Staat finanziert, wird nicht richtiger dadurch, dass sie möglichst oft - eben auch von der Wahrheit - verbreitet wird.

    Kirchensteuer? Die Kirchen zahlen für diesen Service des Staates, die Mitgliedsbeiträge einzusammeln, eben diesem Staate Geld.

  • J
    Joba

    Auch ich bin wie mein Vorredner tief beeindruckt, dass es bei der taz jemanden gibt, der über Kriterien verfügt, zwischen imaginär und real zu unterscheiden, die selbst axiomatisch und vom Verdacht, selbst imaginär zu sein, frei sind. Wie Gottesattribute wie beispielsweise Allmacht zu verstehen sind, darüber wurde offensichtlich in Jahrhunderten auf dem Niveau der Fernsehtotenbeschwörerin diskutiert und es gibt im Falle von Religion keine Möglichkeit zwischen vernünftigem Glauben und Aberglauben zu unterscheiden, weil nur Naivität oder Manipulation dahinter stehen kann. Wenn Atheismus so reflektiert und unpolemisch auftritt wie bei Herrn Schneider, ist es stets eine besondere Freude. Es passt recht gut zu denen, die mit der Hölle drohen oder die Evolution bestreiten, wofür evangelische TheologInnen wie Herr Bräuer ja bekannt sind.

  • CG
    Christian Gruber

    Seehr geehrter Herr Schneider,

    Ihren offenen Brief, verstehe ich als Wink Gottes. Noch heute werde ich aus der evangelischen Kirche austreten und zum ersten Mal in meinem Leben meinen eigenen Verstand bemühen. Haben Sie eigentlich schon einmal darüber nachgedacht; Gleichgesinnte um sich zu scharen, die Wahrheiten zu verkünden die Ihnen anscheinend aus einem schier unermesslichem Quell zusprudeln. Ich dachte da an einen wöchentlichen Termin.

    Ihr herzlichst Ergebener Jünger

    Christian Gruber