DIE WAHRHEIT: Der homosexuelle Mann...
… vergnügt sich besonders gern außer Haus, gerade jetzt zur Sommerzeit. Des Nächtens im Park und tagsüber auf einem der Autobahnrastplätze.
vergnügt sich besonders gern außer Haus, gerade jetzt zur Sommerzeit. Des Nächtens im Park und tagsüber auf einem der Autobahnrastplätze, die sich Schwule vor Jahren bereits erobert haben als ihr Revier. Wie es da so abgeht, wurde unlängst publik. Schwule Rentner, die mit runtergelassener Hose durch die Büsche stolpern, Outdoor-Sandalen, gebrauchte Kondome – das ganze Orgienprogramm. Das macht Angst, jeder wackere Heteromann wird zum Hosenschisser, so wie Wahrheit-Autor Arno Frank.
Mir fällt dazu mein erster Darkroom ein, eine Bar in der Pariser Rue Sainte Anne, Dezember 1977. Licht gab es nur am Eingang, ein kleiner Punktstrahler, der half, dass das saftige Eintrittsgeld in die richtige Kasse kam. Mein (heterosexueller) Freund André begleitete mich, und jeder war ängstlich auf seine Weise, er befürchtete, ihn könne einer anfassen, und ich hatte Sorge, das mich keiner anfasst. So stürzten wir uns ins stockfinstere Sodom und Gomorra. Da klatschte und schmatzte, flüsterte und stöhnte es, ein Drängeln und Schieben, eine fremde Hand am Po, eine andere zwischen den Beinen, dazu eine Coca-Cola irgendwie balanciert und eine Zigarette im Mundwinkel.
Der Höhepunkt der Sause kam alle 15 Minuten, die Lichtkegel zweier Taschenlampen durchkämmten das Gewühl, steife Schwänze wurden schnell eingepackt, nackte Hintern notdürftig bedeckt, verklebte Münder mit dem Handrücken abgewischt. Die kurze Störung war eine reine Pro-forma-Angelegenheit, um guten Gewissens bei einer möglichen Polizeirazzia zu behaupten, man habe alles unter Kontrolle, hier geschehe nichts Verbotenes, rien contre les bonnes moeurs.
Zwei Stunden später traf ich mich wieder mit André im hellen Schein einer Straßenlaterne. Unsere Ängste waren unbegründet, wir hatten uns nicht viel zu erzählen: Ich hatte kurz die coopération franco-allemande aufgefrischt mit einem jungen Mann aus dem 6ème, und André musste zweimal „Non, merci“ sagen, weil er nicht wollte, was er nicht wollte. Das war’s.
Und das war also ein Darkroom, die neueste Mode auf dem schwulen Sexmarkt, Direktimport aus den USA, die witterungsunabhängige Alternative zu den dunklen Ecken in öffentlichen Parks oder den Toiletten, im schwulen Volksmund „Klappen“ genannt, in denen man jede Glühbirne geknackt hatte. So ein Darkroom war der Renner in den späten siebziger Jahren, eine Freude für jeden Betreiber. Er brauchte keinen Anstrich, keine Dekoration, kein Mobiliar, jeder schäbige Kellerraum war bestens geeignet, die Eintrittskosten dafür waren hoch, lediglich die Putzkolonnen am Morgen danach waren nicht begeistert.
Aber etwas hatten André und ich gelernt fürs ganze Leben in diesem, unserem ersten Darkroom in Paris: Unter Schwulen – stehen sie auch noch so dichtgedrängt und schubbern aneinander, als gäbe es kein Morgen – passiert einem nur das, was man selber will. Nicht mehr und nicht weniger, egal ob homo oder hetero. Alles andere ist fantasievoll aufgeheizte Legende.
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