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DIE WAHRHEITDer fünftbeste Leser Deutschlands

Im Jahr des Drachens: Weizhou Dao, die Insel, auf der ich neulich weilte, gilt nach einem Ranking des chinesischen National Geographic Magazine ...

W eizhou Dao, die Insel, auf der ich neulich weilte, gilt nach einem Ranking des chinesischen National Geographic Magazine als zweitschönste Insel des ganzen Reiches. Die Stadt Beihai, in der ich etwas später war, behauptet von sich selbst, sie zähle zu den „fünf schönsten Urlaubsgebieten“ Chinas, und über die südchinesische Stadt Xiamen wird verbreitet, sie sei die „romantischste Freizeitstadt“. Und so wie jede dieser geografischen Gegebenheiten ist praktisch auch jeder andere Ort in China auf irgendwelchen Bestenlisten aufgeführt.

Das liegt nun schlicht daran, dass in der chinesischen Welt jedes Ding präzise positioniert werden muss. Passiert das nicht, drehen ein paar Leute durch. Ein Grund für dieses ausgeprägte Abstufungsbedürfnis ist wohl, dass alle Chinesen mit klaren Hierarchien aufgewachsen sind. Schon in der Schule wird jedem Schüler mitgeteilt, an welcher Position er leistungsmäßig in der Klasse steht – Jahr für Jahr aufs Neue.

Auch den Rang, den ein Mensch bei der Uniaufnahmeprüfung erreicht, hängt man an die große Glocke. Dabei gilt es selbstverständlich, ganz weit oben zu stehen. Nur dann darf man an einer richtig wichtigen Universität studieren, und das ist eine, die beim jährlichen Uni-Ranking einen Platz unter den ersten zehn einnimmt.

Bild: privat
Christian Y. Schmidt

ist Kolumnist der Wahrheit. Seine Geschichten sind auch als Buch erschienen.

Nach Beendigung des Studiums sollte man seinen Namen möglichst bald auf der „Hurun-Liste“ wiederfinden. Die legt die Rangordnung der hundert reichsten Chinesen fest. Auf die Erwähnung in der Tabelle der hundert großzügigsten Chinesen – ebenfalls vom Hurun Magazine erstellt – kann man dagegen ruhig verzichten. Wichtig ist dann erst wieder eine hochrangige Beerdigung, zum Beispiel auf dem Anle-Yongjiu-Friedhof („Für immer sorglos und glücklich“-Friedhof) in Xiamen. Der führt die Charts der teuersten Friedhöfe Chinas an.

Als guter Neuchinese muss natürlich auch ich um meine Position wissen. Doch wie erfahre ich die? Zwar besuche ich einer Aufstellung zufolge, die irgendjemand im Traum erschienen sein muss, das viertbeste Fitnessstudio des Landes. Doch das ist mir für eine echte Positionierung zu wenig. Deshalb ist es gut, dass das Rankingwesen inzwischen auch Deutschland erreicht hat. So las ich neulich überraschend bei „commentarist“, „einem Aggregator für Meinungsjournalismus“ im Internet, dass ich genau auf Platz 5 aller Leute stehe, die in Deutschland Kommentare schreiben.

Wie diese Zahl ermittelt wurde, ist mir nicht klar, denn etwas später fiel ich wieder auf Platz 244 zurück. Aber Rang 5 von irgendetwas, damit bin ich – wenn es sich nicht gerade um das Verspeisen von lebendem Affenhirn handelt – einverstanden. Bliebe noch die Frage: An welcher Position stehen Sie?

Klar: Da Sie diese Kolumne lesen, müssen Sie die fünftbeste Leserin oder der fünftbeste Leser sein. Gratulation, nicht schlecht. Das heißt aber auch, es kann für Sie noch weiter aufwärts gehen. Vielleicht geben Sie sich beim Lesen noch etwas mehr Mühe. Am besten fangen Sie gleich hier noch mal von vorne an.

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3 Kommentare

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  • 天乐

    > So las ich neulich überraschend bei „commentarist“, „einem Aggregator für Meinungsjournalismus“ im Internet, dass ich genau auf Platz 5 aller Leute stehe, die in Deutschland Kommentare schreiben.

     

    Cool. Gibt es da einen Link zu? Und wo steht Kamerad Deniz Y. ?

  • A
    anke

    Ich bin (gemeinsam mit vielen anderen) nicht nur der fünftbeste Leser Deutschlands, Herr Schmidt, ich bin auch die 353ste in der Liste der allerbesten crack-it-SpielerInnen auf faz.net.

     

    Zugegeben: Das mag jetzt, so kurz nach Olympia, erst einmal nicht besonders spektakulär klingen. Zumal ja die oberste Heeresleitung der deutschen Olympioniken gerade öffentlich erklärt hat, dass es eine kaum wieder gut zu machende Schande ist, wenn deutsche Athleten nicht mindestens Bronze im Medaillen-Ranking nach Hause bringen. Gleich nach den letzten verbliebenen Führungsmächten - den USA in freiheitlicher und der VR China in finanzieller Hinsicht. Die Schande relativiert sich jedoch, wenn man bedenkt, dass die faz sich rühmt, mehr als 350.000 Papierexemplare täglich zu verkaufen. Für Geld. (Wie viele Nutzer das kostenlose faz.net hat, wollte mir Wikipedia nicht verraten.) Richtig relativ allerdings wird mein Versagen erst dadurch, dass allein einE gewisseR "O. H. Lätz" genau 122 (und damit fast 35%) der Ränge vor mir belegt und unter den ersten 50 besten Spielern 18mal ein MI 1912 sowie 15mal ein andy1313 vorkommt.

     

    Ich finde ja, Ihre Hurun-geführten Chinesen sind angesichts der genannten Mega-Sieger nichts, was besonderes beeindrucken muss. Ein wenig neidisch bin ich nur auf die unter Ihren derzeitigen Landsleuten, die auf dem Für-immer-sorglos-und-glücklich-Friedhof begraben liegen. Als gemeiner Mitteleuropäer bin ich schließlich leidlich überzeugt davon, dass glücklich nur jemand werden kann, der noch nicht tot und begraben ist.

  • B
    Besserwessi

    "Das liegt nun schlicht daran, dass in der chinesischen Welt jedes Ding präzise positioniert werden muss. Passiert das nicht, drehen ein paar Leute durch. "

     

    Ich glaube, Sie verwechseln da Ihre alte Heimat mit China. Es ist naemlich genau umgekehrt.

    Dazu gibt es uebrigens auch Facharbeiten.

     

    Ansonsten viel Spassn noch in Peking, und vor allem frische Luft ! harharhar