DIE VERNETZTE GESELLSCHAFT: Wer kauft mir ein Fax?
■ Gabriel Garcia Marquez ist ein Verfechter der neuen Technologien. Für ihn sind die Probleme, die der wissenschaftliche Fortschritt mit sich bringt, überwindbar. Seine einzige Befürchtung: daß die Menschen mit dem Problem der Zeit nicht richtig umgehen, nicht Nein sagen können. Juan Cruz interviewte GABRIEL GARCIA MARQUEZ
WORLD MEDIA: Sie haben eine Computerdiskette mit Ihrem letzten literarischen Werk bei sich. Welchen Vorteil hat das?
Gabriel Garcia Marquez: Durch all diese neuen technologischen Entwicklungen können wir Schriftsteller mit unserer Arbeit in der Jackentasche herumreisen. Die neuen Technologien haben uns neue Horizonte eröffnet und damit die Phantasie der Schriftsteller freigesetzt. Ich kann mir ein Zurück nicht mehr vorstellen. Ich habe alle mit dem Schreiben verbundenen Techniken kennengelernt, vom Federhalter bis zum Computer. Mit dem Computer kann man seinen Text wiederaufnehmen und wiederholen, man kann sich sein Buch gedruckt vorstellen, das ist für einen Schriftsteller eine Revolution.
Hätten Sie auf diesem Gebiet gern neue Geräte zur Verfügung?
Jedes Gerät, das das Schreiben, den Schöpfungsprozeß als solchen erleichtert, wäre mir willkommen. Wenn man mir vor 20 Jahren einen Computer gegeben hätte, dann hätte ich doppelt soviele Bücher veröffentlicht.
Was sagen Sie den Kritikern, die auf den Mißbrauch hinweisen, der mit der Macht der Informatik einhergehen kann?
Natürlich ist das eine Gefahr, aber, zum Donnerwetter, man muß an den Menschen glauben, er ist in der Lage, das zu kontrollieren.
Sie wünschen sich also, daß der Fortschritt weitergeht?
Ich wünsche mir, daß die Wissenschaft uns auch in Zukunft Geräte zur Verfügung stellt, mit denen wir das Glück, das Schreiben bedeutet, erreichen können. Um nur ein Beispiel zu nehmen, ich habe hier [das Interview fand in Barcelona statt, d.Red.] kein Faxgerät. Wer kauft mir einen Fax?
Aber kann die Technologie im Namen des Fortschritts nicht auch zur Zerstörung unserer Umwelt führen?
Es muß vorweg gesagt werden, daß der Mensch im Laufe dieses Jahrhunderts den Eindruck erweckt hat, er wolle unsere Welt endgültig erledigen, die Erde, die er verwüstet hat. Früher oder später wird dem Menschen bewußt werden, was er getan hat, und er wird dem gründlichen Zerstörungsprozeß ein Ende machen.
Sie sind also immer noch Optimist?
Ich bin Optimist, denn der Mensch kann nicht so dumm sein, wie er es im 20.Jahrhundert gewesen ist.
Sie arbeiten mit Kurosawa an einem Film. Was ist für Sie an seiner Auffassung der Welt und der Technologie interessant?
Akira Kurosawa hat mir eine orientalische, genauer gesagt eine japanische Auffassung des Lebens und der Zeit nahegebracht. Für ihn ist es wichtig, mehr Zeit zu haben, um damit besser umzugehen. Ich hatte immer Angst vor der Zeit, weil ich nie welche hatte!
Wie kann der Mensch „weniger dumm“ werden?
Vor allem, indem er es lernt, die Zeit zu beherrschen. Man beginnt die Zeit zu beherrschen, wenn man nein sagen kann. Unsere Epoche wird durch den Zeitmangel bedroht. Der Mensch wäre besser, wenn er sorgfältiger mit der Zeit umgehen würde. Die Menschheit kann das nach und nach erlernen, und sie muß es tun.
Wie definieren Sie die menschliche Zeit?
Ja sagen, wenn man ja meint, und nein sagen, wenn man nein meint, der Verfügbarkeit Grenzen setzen.
Wie sehen Sie die Zukunft der Welt?
Ich bin davon überzeugt, daß alle Völker auf der Erde eine zweite Chance bekommen, selbst wenn mein eigenes Volkvielleicht gerade erst seine erste Chance bekommt. Ich wünsche mir, daß es in Zukunft mehr Liebe und Menschlichkeit gibt. Deshalb betrachte ich mich nicht mehr als Kolumbianer, Mexikaner oder Kubaner: Ich bin ganz einfach Lateinamerikaner.
Gabriel Garcia Marquez
Sohn des Telegraphenbeamten in dem kleinen kolumbianischen Dorf Aracataca und Schöpfer des legendären Macondo, erhielt 1982 den Nobelpreis für Literatur.
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