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Archiv-Artikel

DIE USA KÖNNEN DEN IRAK STABILISIEREN – WENN SIE KEINE FEHLER MACHEN Die Großzügigkeit des Stärkeren

„Gewinne nie einen Krieg gegen die USA“ – denn Gewinner, wie Vietnam und Korea, haben kein Wirtschaftswunder erlebt. Dagegen sind die Länder, die einen Krieg gegen die USA verloren haben, relativ schnell zu wohlhabenden Demokratien geworden, siehe Deutschland und Japan. Einen Marshallplan gibt es eben nur für den Unterlegenen. So hässlich das Gesicht der US-Außenpolitik auch ist, es gibt eine Tradition amerikanischer Großzügigkeit aus der Position der Stärke. Die Ansprachen Bushs und Blairs an das irakische Volk wecken Assoziationen an diese Tradition.

Ein – optimistisches – Szenario könnte also so aussehen: Die von den USA eingesetzte Militärverwaltung bezieht vom ersten Moment an lokale Führungsfiguren in zentrale politische und administrative Aufgaben ein und zieht sich selbst relativ schnell zurück. Als Zeitraum für eine solche Militärverwaltung veranschlagt etwa der Politologe Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik unter Idealbedingungen mindestens zwei Jahre; im befreiten Deutschland blieben amerikanische Militärgouverneure bis 1949. Wenn nun die Wirtschaftssanktionen gegen den Irak aufgehoben würden und ein neuer Friedensprozess für Israel und Palästina in Gang käme, könnte das Land unter dem Schirm der USA durchaus prosperieren.

Das amerikanische Aufbauprogramm in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg könnte als Vorbild für einen Demokratisierungprozess dienen. „Re-edukation“ ist jedoch kein passender Begriff, denn es gibt einen wichtigen Unterschied zu 1945: Die arabischen Gesellschaften sind nicht faschistisch. Es liegt in der Hand der Besatzungsmächte, die richtigen Begriffe und Symbole zu gebrauchen, um Vertrauen aufzubauen.

Die „Entbaathifizierung“, eine neue Wortschöpfung, spielt dabei eine Schlüsselrolle. Exiliraker in den USA haben den Terminus zunächst gebraucht, inzwischen hat er Eingang in das offizielle Vokabular der Bush-Regierung gefunden. Die Nähe zur Idee der Entnazifizierung ist unübersehbar. Hinkte der Vergleich Adolf Hitlers mit Saddam Hussein schon sehr, so ist der Vergleich der irakischen Gesellschaft im Jahr 2003 mit den deutschen Tätern und Mitläufern gefährlich für den Umgang mit der irakischen Zivilbevölkerung. Sollten Verhältnisse wie in Guantánamo Bay eintreten, weil amerikanische Soldaten glauben, sie hätten es mit gefährlichen Verbrechern zu tun, wird der Versuch, Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit in das Land zu bringen, scheitern. Um dieses Ziel zu erreichen, ist vor allem viel Geld nötig: Ein Marshallplan für die Region, der diesen Namen verdienen würde, müsste nach Meinung von Experten etwa 100 Milliarden Euro bereitstellen.

Ohne ehemalige Mitglieder der Baath-Partei wird der Wiederaufbau nicht vorankommen. Denn die häufig auch wissenschaftlich untermauerte Vorstellung von Einheitsparteien, die in der arabischen Welt nicht die geringste repräsentative Funktion hätten, da sie nicht aus freien und transparenten Wahlen hervorgegangen sind, verdeckt, dass die ursprünglichen lokalen Autoritäten diese Parteien als einzige Möglichkeit zur Repräsentation und Einflussnahme genutzt haben. Ein Notabler auf dem Land stellte sicher, dass einer seiner Söhne im Parlament saß, dass ein weiterer in der Armee Karriere machte und ein dritter erfolgreicher Unternehmer wurde, um seine traditionelle Machtposition im postkolonialen Gefüge abzusichern. Diese Eliten sind auch heute noch wichtige Partner für eine erfolgreiche Nachkriegsordnung.

Diese könnte durchaus in die Region ausstrahlen: Erste Druckwellen politischer Liberalisierung auf die umliegenden Staaten gibt es schon. Es ist kein Zufall, das die unabhängige ägyptische Menschenrechtsorganisation Hisham Mubarak Legal Center (nicht verwandt mit dem ägyptischen Präsidenten) bekannt gab, dass Intellektuelle Anzeige gegen den Präsidenten Husni Mubarak und den Innenminister Habib al-Adly erstattet haben. Mit ihrer Anzeige wollen sie gegen die brutale Behandlung von Demonstranten auf einer genehmigten Antikriegsdemonstration in Kairo protestieren. Dieses Vorgehen ist beispiellos und zeugt von einem gestiegenen Selbstbewusstsein der lokalen Aktivisten. Auch wenn die Demokratisierung der Region nie wirklich Ziel dieses Krieges war – möglich ist sie geworden. SONJA HEGASY

Die Autorin ist Islamwissenschaftlerin am Zentrum Moderner Orient in Berlin