DIE TÜRKEI GIBT IHREN WIDERSTAND GEGEN EINEN IRAKKRIEG AUF : Armutszeugnis für die EU
Die türkische Regierung hat grünes Licht für eine Beteiligung an einem US-Krieg gegen den Irak gegeben – nach zwei Monaten des Lavierens, gegen ihre eigene Überzeugung und den Wunsch der großen Mehrheit im Land. Das war nicht anders zu erwarten: Anders als Deutschland oder Frankreich ist Ankara auf direkte Finanzhilfen aus Washington angewiesen. Und andererseits brauchen die USA die türkische Zustimmung auch viel dringender als die aus Berlin oder Paris.
Als direkter Nachbar Iraks ist die Türkei militärisch unverzichtbar. Vor allem deshalb sah sich Ankara in den vergangenen Wochen immer stärkerem US-Druck ausgesetzt. Die Möglichkeit eines Entkommens gab es für die regierende AK-Partei nicht. Weder ein Zusammenschluss mit den arabischen Nachbarn noch eine Orientierung der Türkei auf Europa waren für Ministerpräsident Gül und AK-Chef Tayyip Erdogan eine Alternative. Das Gipfeltreffen der Irak-Anrainerstaaten, das die türkische Regierung organisiert hatte, machte deutlich, dass die arabischen Nachbarn lediglich versuchen, jeder für sich ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Und auch EU-Europa ist in sich so zerstritten und der Türkei gegenüber so ambivalent, dass keine türkische Regierung es riskieren könnte, sich mit EU-Deckung US-Wünschen zu widersetzen.
Trotz aller Bemühungen blieb Ankara also letztlich allein dem Druck des übermächtigen großen Bruders ausgesetzt – und musste sich letztlich den US-Wünschen fügen. Das ist vor allem ein Armutszeugnis für die EU. Der jetzt von Griechenland geforderte europäische Sondergipfel zum Irakkrieg, zu dem auch die Beitrittskandidaten eingeladen sind, kommt schon zeitlich viel zu spät, um an der Entscheidung Ankaras noch etwas ändern zu können. Auch ist nicht zu erwarten, dass die EU die Türkei politisch und finanziell so weit absichern würde, dass sie sich gegenüber den USA frei entscheiden könnte. Die Vorgeschichte des kommenden Krieges ist deshalb ein weiteres Musterbeispiel dafür, wie wenig eine EU ohne gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik den USA entgegenzusetzen hat. JÜRGEN GOTTSCHLICH