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Archiv-Artikel

DIE SONNTAZ FRAGE Bringt Obama wirklich die Wende?

BILANZ Am 30. April ist Barack Obama 100 Tage im Amt. Krise, Kriege, Menschenrechte - Obama kämpft darum, die großen Hoffnungen zu erfüllen.

Ja!

Irene Khan aus Bangladesch ist internationale Generalsekretärin von amnesty international

Präsident Obama korrigiert einige der Verfehlungen, die die Bush-Regierung im Namen des Kriegs gegen den Terror begangen hat. An seinem zweiten Tag im Amt ordnete er an, das Gefangenenlager in Guantánamo binnen einem Jahr zu schließen, prangerte Folter und Misshandlungen an und beendete die geheimen Haftstätten der CIA. Das ist definitiv richtig, aber er muss noch mehr machen. Noch immer herrscht Straflosigkeit – er muss Ermittlungen unterstützen, um diejenigen vor Gericht zu stellen, die für die Verfehlungen verantwortlich sind. Er muss Menschenrechtsverletzungen der CIA in Afghanistan angehen. Obama will einen Sitz im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen. Das ist völlig richtig so. Aber er muss ihn benutzen, um andere – wie China und Israel – auf den Pfad der Menschenrechte zu ziehen. Er ist auf dem richtigen Weg, und wir erwarten mehr.

Frank-Walter Steinmeier ist Bundesaußenminister und SPD-Kanzlerkandidat

Präsident Obama steht für Neuanfang und Wandel in der amerikanischen Politik, für Zuversicht in schwieriger Zeit, für eine Gesellschaft, in der alle unabhängig von Herkunft und Hautfarbe ihre Chance haben. Auch außenpolitisch geht er neue Wege: Diplomatie statt Abschottung, Dialog statt Ausgrenzung, jüngstes Beispiel Kuba. In der Klimapolitik oder bei der Abrüstung haben wir endlich einen Partner, der selbst mutig vorangehen möchte. Kein Zweifel – über den Atlantik weht ein frischer Wind, eine neue Offenheit. Und selten war das so wichtig wie jetzt. Ich sehe die Chance für einen Neubeginn in den transatlantischen Beziehungen. Nutzen wir sie!

Davina Kotulski ist eine national bekannte Autorin und Homoehenaktivistin aus San Francisco

Obama hat schon bewiesen, dass er radikal anders ist als sein Vorgänger. Rechte für Schwule und Lesben waren Teil seines Wahlkampfprogramms, und seit er im Amt ist, hat er die UN-Prinzipien gegen die Kriminalisierung von Homosexualität unterschrieben und schwul-lesbische Familien zum traditionellen Ostereiersuchen im Weißen Haus eingeladen. Das sind Schritte in die richtige Richtung. Aber wir brauchen handfeste Maßnahmen. Einige Ungerechtigkeiten sollte er sofort angehen, etwa die Diskriminierung von schwulen und lesbischen Soldaten. Im nächsten Schritt könnte Obama zeigen, dass er wirklich ein Fürsprecher von Einwandererrechten für binationale gleichgeschlechtliche Paare ist. Es wird zugegebenermaßen schwierig sein, den Defense of Marriage Act (Doma) abzuschaffen, der 1996 unter Bill Clinton eingeführt wurde und der die Bundesregierung dazu verpflichtet, gleichgeschlechtliche Ehen nicht anzuerkennen. Das muss sich ändern. Verabschiedet sie endlich, die Gesetze!

Yoani Sánchez lebt in Havanna und betreibt den unabhängigen, preisgekrönten Blog „Generación Y“.

In wenigen Monaten hat Barack Obama mehr für die Normalisierung der Beziehungen zu Kuba getan als George W. Bush in seiner gesamten Amtszeit. Wir stehen zwar in Obamas Prioritätenliste nicht ganz oben, aber wir sind auch nicht zur totalen Vergessenheit verdammt. Er hat die Einschränkungen für Besuche und Geldsendungen kubanischer Emigranten aufgehoben und „droht“ jetzt damit, den US-Tourismus auf der Insel wieder zuzulassen. Unsere Regierenden sind schon ganz durcheinander, denn sie haben sich an aggressive Gegner gewöhnt, mit denen sie das Fehlen von Freiheiten in Kuba begründen konnten. Mit seinem Lächeln und seiner Jugend wird Obama von vielen meiner Landsleute bewundert. Lediglich die größten Antiimperialisten versuchen, der „Obamania“ etwas entgegenzusetzen: „Obama“, sagen sie, „ist wie Bush – nur schwarz angemalt.“

Nein!

Phyllis Bennis vom Institute for Policy Studies in Washington gehört zur US-Friedensbewegung

Präsident Obama hat seine Wahlversprechen in Sachen Afghanistan nicht gebrochen – er hat versprochen zu eskalieren, und das hat er gemacht. Aber es gibt keine militärische Lösung für Afghanistan, und mehr Truppen zu schicken wird nicht den Sieg bringen. Das Gleiche gilt für die unbemannten Bomberdrohnen, die schon routinemäßig sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan Zivilisten töten und die Menschen direkt in die Arme der Taliban und anderer Widerstandsgruppen treiben.

Obamas Militäretat beträgt 664 Milliarden US-Dollar – 20 Milliarden Dollar mehr als der von Bush. Noch nicht enthalten sind 77 Milliarden Dollar, die Obama für die Kriege in Irak und Afghanistan dieses Jahr noch beantragen will. Will der Präsident wirklich ein zweites Vietnam in Afghanistan und Pakistan?

Tariq Ali ist britischer Historiker, Filmemacher, Autor und Redaktionsmitglied der „New Left Review“

Die ersten 100 Tage zeigen starke Elemente der Kontinuität mit der Regierung Bush. Wie Obama es in seinem Wahlkampf versprochen hatte, ist er fleißig dabei, den Nato-Krieg in Afghanistan über den Khaiberpass auszudehnen – das hat bereits zur Destabilisierung Pakistans geführt. Während die Nato in Afghanistan immer tiefer im Schlamassel versinkt, kommt kein Widerspruch aus Europas Außenministerien. Hermann Brochs Roman „Die Schlafwandler“ sollte Pflichtlektüre für die europäischen Eliten und Bevölkerungen sein, die Obama bei seiner Europareise freundlichst begrüßt haben, ohne sich darum zu scheren, was in Afghanistan/Pakistan passiert. Dasselbe gilt für Israel/Palästina, wo Obama und die europäischen Schlafwandler die Kollektivbestrafung der Bevölkerung des Gazastreifens unterstützten. Zu Hause hat Obama den größten Geldtransfer aller Zeiten von den weniger Begüterten zu den Bankern zu verantworten. Seine Wall-Street-Bande ist so konservativ, dass sie in der New York Times regelmäßig von zwei Trägern des Nobelpreises für Ökonomie, Paul Krugman und Joseph Stiglitz, an den Pranger gestellt wird. Kein guter Start.

Norman Paech, Professor für Völkerrecht, ist für Die Linke im Bundestag

Obama hat begonnen, den Augiasstall auszumisten, den der Albtraum Bush hinterlassen hat, z. B. in Guantánamo. Doch Afghanistan, Iran, Palästina zeigen, wie wenig er die Bush-Spur bisher verlassen hat. Einerseits eine neue Strategie für Afghanistan, Gesprächsangebote an Iran, die Zweistaatenlösung für Palästina. Andererseits 21.000 weitere Soldaten für Afghanistan, für die kein Afghane ein sinnvolles Argument findet. Dann noch die Verlängerung der Sanktionen gegen Iran und Kuba. Und kein sichtbarer Ansatz, die Blockade der Israelis zu durchbrechen. Obama hat zum Krieg gegen Gaza geschwiegen. Obama ist nicht der Gorbatschow der USA, und diese werden ihr Imperium nicht so bald auflösen. Dafür sorgt auch sein Beraterstab, der nicht viel Hoffnung auf Wandel hergibt.

Lucas Christof fer studiert Politik in Kassel. Er hat seinen Beitrag auf taz.de gestellt.

Obamas Politik besteht bisher nur aus Visionen und vielen guten Ansätzen, die Vollendungen lassen jedoch auf sich warten. So hat er zwar die geheimen Gefangenenlager geschlossen, die Aufklärung über die dort stattgefundenen Folterungen fehlt jedoch. Genauso hat er die Schließung von Guantánamo angeordnet, noch immer ist aber nicht klar, was mit den Gefangenen jetzt passieren soll. Doch nicht nur bei den Menschenrechten wirkt seine Politik leicht halbherzig, auch in der internationalen Zusammenarbeit. Und wirkliche Vorwürfe sind ihm in seiner fast nicht vorhandenen Umweltpolitik und der angeblichen Friedenspolitik zu machen.