DIE SERBISCHE MINDERHEIT IM KOSOVO LEHNT SICH WIEDER AN BELGRAD AN: Weg in die Sackgasse
Die serbische Bevölkerung im Kosovo hat seit dem Einmarsch der Nato-Truppen und dem Abzug der jugoslawischen Armee im letzten Juni mehrere Phasen durchlaufen. Zuerst war der Schock groß, man fürchtete die Rache der Albaner, zog sich in Enklaven zurück oder floh nach Serbien. Als die 90.000 Gebliebenen registrierten, dass die KFOR-Truppen die serbischen Dörfer und Enklaven schützten, war man lokal zur Zusammenarbeit bereit. Von Belgrad unabhängige Repräsentanten wie Bischof Artemija nahmen das Heft in die Hand.
Jetzt ist wieder Konfrontationkurs angesagt. Die Zusammenstöße zwischen KFOR und Teilen der serbischen Bevölkerung machen es notwendig, nicht nur in den Albanergebieten, sondern auch in den serbischen Enklaven nach Waffen zu suchen. Dabei wird fast täglich umfangreiches Diebesgut sichergestellt, manche Häuser sind reine Waffenlager. Mit dem Aufbau der UN-Administration, der internationalen Polizei und eines Rechtssystems können Rechtsbrüche geahndet werden. Rechtssicherheit und Schutz würden den Serben Kosovos eine friedliche Perspektive ermöglichen.
Die meisten Serben Kosovos setzen jedoch auf eine andere Karte. Anstatt ihren kooperationsbereiten Repräsentanten den Rücken zu stärken, haben sie sich wieder an Belgrad angelehnt. Seit Monaten versuchen die Politiker in Belgrad, die Kontrolle in den 13 Enklaven und in der mit Serbien direkt verbundenden Region um Kosovska Mitrovica auszuüben. Serbische Geheimdienstleute, Polizisten und Paramilitärs sind mit Rückkehrern in die Enklaven eingesickert. Die Vermutung der KFOR, von hier aus könnten jederzeit terroristische Anschläge durchgeführt werden, ist nicht ganz aus der Luft gegriffen. Unruhe zu stiften liegt im Interesse Belgrads, das seine Macht festigen will.
Der Konfrontationskurs aber, das kann schon jetzt gesagt werden, führt für die einheimische Bevölkerung wieder einmal in die Sackgasse. Sie wird letztendlich die Rechnung für die Belgrader Politik zu zahlen haben. Die serbische Bevölkerung im Kosovo hat sich zu einer Dispositionsmasse für die Politik von Slobodan Milošević herabwürdigen lassen. Und das leider nicht zum ersten Mal.
ERICH RATHFELDER
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