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Archiv-Artikel

DIE REICHENSTEUER IST LEDIGLICH EIN AKT SYMBOLISCHER POLITIK Ganz und gar daneben

Bevor das Kabinett am heutigen Mittwoch die neue „Reichensteuer“ beschließt, dämmert es den SPD-Linken allmählich. Der Aufschlag dürfe „nicht nur ein Alibi“ sein, sagte deren Sprecher gestern. Als wäre diese Steuer nicht von Anfang an genau das gewesen: ein Alibi.

Von 53 auf 42 Prozent hat die rot-grüne Regierung in ihrer siebenjährigen Amtszeit den Spitzensteuersatz gesenkt, in der Hoffnung, sich damit die Wirtschaft gewogen zu machen und einen Aufschwung zu erzeugen. Als im Sommer 2005 die Abwahl unmittelbar bevorstand und der damalige SPD-Chef Franz Müntefering gegen „Heuschrecken“ wetterte, galt dieses Konzept als gescheitert. Die logische Konsequenz wäre gewesen, den Spitzensteuersatz wieder zu erhöhen – beispielsweise um jene drei Prozentpunkte, die jetzt als „Reichensteuer“ verkauft werden. Weil die SPD aber die eigene Politik nicht dementieren wollte und zudem einen plakativen Begriff für den Wahlkampf brauchte, verfiel sie auf den missglückten Begriff und das gleichermaßen missglückte Modell. Magere Einnahmen von lediglich 250 Millionen Euro jährlich, verfassungsrechtliche Probleme bei der Besteuerung von Freiberuflern – all diese Schwierigkeiten wären gar nicht erst aufgetreten, hätte sich die Politik zur Erhöhung des Spitzensteuersatzes entschlossen. Einkommensteuer zahlt jeder, und der Spitzensteuersatz wird bereits ab rund 50.000 Euro erhoben, nicht nur von wenigen Superreichen mit mehr als dem fünffachen Salär.

Aber ein solcher Schritt hätte vorausgesetzt, dass sich die SPD wie auch die große Koalition über ein paar grundsätzliche Fragen verständigt, die das künftige Steuer- und Sozialsystem insgesamt betreffen. Etwa darüber, ob die bisherige Steuersenkungspolitik ein Fehler war oder nicht. Ob das Sozialsystem künftig stärker über Steuern oder weiter über Beiträge finanziert werden soll. Ob der Staat in Zeiten sinkender Erwerbsquoten hauptsächlich bei den Arbeitseinkommen zugreifen soll – wie es bei der „Reichensteuer“ erneut geschieht.

Solange diese Fragen nicht beantwortet sind, bleibt die „Reichensteuer“ ein Akt symbolischer Politik, der von seinen Gegnern völlig zu Recht als „Neidsteuer“ bezeichnet wird. RALPH BOLLMANN