DIE PRIVATEN KASSEN MÜSSEN ECHTER KONKURRENZ AUSGESETZT WERDEN : Solidarität ist gesund
Morbide, krank und hinfällig – mit solchen und ähnlichen Attributen charakterisieren die Vertreter der privaten Krankenkassen das gesetzliche Krankenversicherungssystem. Einig sind sich die Privaten darin, dass sie nicht zu einer Sanierung dieses Systems herangezogen werden wollen. Denn das würde ihre etablierten Strukturen zunichte machen. Wie gesund das System der Privatkassen wirklich ist, wird sich allerdings erst noch zeigen, wenn sie nämlich gezwungen sein werden, unter den gleichen Bedingungen zu arbeiten wie die gesetzlichen Kassen. Erst dann nämlich müssen sie jeden ohne Gesundheitscheck aufnehmen.
Derzeit jammern die Privaten schon, weil sie Leute, die eigentlich zu ihrer Klientel gehören, Selbständige etwa, zu einem billigeren Basistarif versichern sollen. Der Risikozuschlag fällt dann weg. Bisher können sich die Privatkassen praktisch aussuchen, wen sie versichern. Wer mit Diabetes oder Raucherlunge ankommt, wird mit saftigen Risikozuschlägen abgewehrt. Es ist für eine Versicherung natürlich gewinnbringend, wenn sie keine Schäden regulieren muss. Natürlich gibt es auch unter den 7 Millionen Privatversicherten Menschen, die im Rollstuhl sitzen, aber in der Regel werden diese in die gesetzlichen Kassen abgeschoben.
Die Politik unterstützt die Privatversicherungen bei dieser Rosinenpickerei, indem sie festlegt: Wer sehr gut verdient, darf sich aus der Solidarität verabschieden. So kommt es dazu, dass die Armen und Kranken unter sich bleiben und miteinander solidarisch sein sollen, während Besserverdienende nur für sich selbst vorsorgen dürfen.
Dieses Nebeneinander von zwei Systemen und die systematische Bevorzugung eines kleinen Teils der Bevölkerung ist einmalig in Europa. Deshalb wäre es richtig, wenn die privaten Kassen nicht nur jeden nehmen müssten, sondern auch gezwungen wären, sich an der solidarischen Umlagefinanzierung zu beteiligen. Die Privatversicherer können ihren Reibach mit Zusatzversicherungen machen, doch nicht auf Kosten von 70 Millionen gesetzlich Versicherten. ANNA LEHMANN