DIE POST UND TÆKKER : Etikettenkleben
Ich bringe vier blaue Ikea-Einkaufstüten mit Büchersendungen zur Hauptpost. Der Schalterbeamte guckt traurig und schüttelt den Kopf. Ich sage: „Aber das ist doch die Post, oder?“ Das hört sich etwas verzweifelt an, und das ist es auch. Ja schon, aber mit der Frankierung wäre er ja den Rest des Vormittags beschäftigt, sagt der Schalterbeamte. Er druckt 185 Briefmarken mit einem Nadeldrucker aus dem letzten Jahrhundert aus. Wir stehen da und sehen abwechselnd auf die Etiketten, die sich aufreizend langsam aus dem Drucker quälen, und auf die Schlange, die hinter mir wächst. Ich werde gut zwanzig Mal mit Blicken getötet. Dann mache ich den Job der Post und klebe Marken. Ganz umsonst. Erinnert mich irgendwie ans Tütenkleben im Knast.
Lieber gehe ich dann doch wieder in den Zeitungsladen, in dem eine ganz kleine Post untergebracht ist. Vor mir kauft eine energische schwarzhaarige Frau „ausnahmsweise mal den Spiegel“. Warum „ausnahmsweise“? „Weil da was über Decker drinsteht, dem Immobilienhai.“ Ich gebe meine Pakete auf und radle weiter zu Edeka. Dort kommt mir die Zeitungsverkäuferin nachgerannt. „Ich kriege noch 5,50 Euro von Ihnen“, sagt sie. Ich komme mir ertappt vor. Ich gebe ihr das Geld und sie sagt: „Gott sei dank sind Sie so auffällig, sonst hätte ich Sie lange suchen können.“
Zu Hause lese ich den Spiegel-Artikel nicht über Decker, sondern über Tækker, einen dänischen Immobilieninvestor, der hier um die Ecke sein Büro hat, Häuser kauft und Mieter kündigt. Die Wohnungen verkauft er Krisenflüchtlingen aus dem Süden, die glauben, wenn alles zusammenbricht, würden sie ihr Geld in D-Mark wieder zurückkriegen.
Jetzt weiß ich auch, warum so viele Leute vor meinem Fenster stehen bleiben und gucken. Sie riechen es, dass ich die Wohnung nur gemietet habe, und werfen jetzt begehrliche Blicke auf ein mögliches Kaufobjekt.
KLAUS BITTERMANN