DIE NEUEN EINBÜRGERUNGSREGELN ERSCHWEREN DIE INTEGRATION : Aus Schaden dumm geworden
Es hätte schlimmer kommen können, gewiss. Die neuen Einbürgerungsregeln, die gestern von der Innenministerkonferenz beschlossen wurden, sind liberal – gemessen an manchen Vorschlägen aus der Union. Erfreulicherweise haben die Minister nicht angeordnet, dass man alle Nebenflüsse der Donau auswendig lernen muss, wenn man den deutschen Pass bekommen möchte. Es wird auch kein Gesetz geben, das einbürgerungswillige Familienväter zwingt, jubelnd aufzuspringen, wenn sich der Sohn als Schwuler outet – wie es Günther Oettinger aus Baden-Württemberg in seinem Muslim-Test nahe gelegt hatte. So betrachtet, haben die SPD-Vertreter in der Ministerrunde einen glänzenden Sieg errungen. Gemessen an ihren eigenen Zielen aus rot-grünen Zeiten ist die gestrige Einigung trotzdem eine Kapitulationserklärung.
Schon geringfügige Straftaten reichen künftig aus, um Migranten und ihren Kindern, die in Deutschland aufgewachsen sind, die Einbürgerung zu verweigern. Resozialisierung? Für eingeborene Deutsche selbstverständlich, bei der Migranten-Integration endgültig ein Fremdwort. Gleichzeitig werden die Sprachprüfungen erschwert und neue Wissenstests eingeführt – auch wenn die absurdesten Ideen nicht überall umgesetzt werden. Die Kriterien dürften den Ländern überlassen bleiben. Die Stoßrichtung der Beschlüsse aber ist klar und folgt den Wünschen der Union: Die Hürden werden höher, die Einbürgerung erschwert. Für die Integrationspolitik bedeutet das eine traurige Kehrtwende.
Vor sechs Jahren, als das rot-grüne Staatsbürgerrecht beschlossen wurde, war dies mit dem Ziel verbunden, die Einbürgerungszahlen zu steigern. Nach mühsamen Debatten hatte sich bei der SPD die Erkenntnis durchgesetzt, dass das Zusammenleben besser funktionieren könnte, wenn möglichst viele Bürger Deutsche werden. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt, im Gegenteil: Die Einbürgerungszahlen sinken, Migranten und Mehrheitsgesellschaft haben sich zum Teil noch mehr entfremdet. Die Minister sind aus diesem Schaden dumm geworden. Sie signalisieren vor allem bildungsschwachen Migranten: Ihr habt keine Chance. Der Spielraum für restriktive Entscheidungen wird ausgeweitet. Das hört der Stammtisch gern.
Bei der Einbürgerung wird ausgesiebt: Den Pass bekommt, wer seine Nützlichkeit beweisen kann. Doch die anderen, die sozial Schwachen, sie werden trotzdem bleiben, ob mit oder ohne deutschen Pass. Man kann sie nicht einfach ausweisen. Und ihre Integration wird nicht erleichtert, indem man ihnen die Teilhabe erschwert. LUKAS WALLRAFF