DIE NATUR HAT ALLES SO WUNDERBAR UND GERECHT EINGERICHTET – WAS WILL MAN MACHEN? : Bauhaus Dessau gegen Bauhaus Hasenheide
ULI HANNEMANN
Neulich im Fernsehen. Die Sonne scheint auf einen runden, fischteichgroßen Bottich voll brodelnd brauner Exkremente. Während im Hintergrund klassische Musik zu hören ist, sitzt ein gut gelaunter Mann auf dem Rand des Bottichs und jongliert mit CD-Hüllen: Es ist wohl der Klärwerksbesitzer, der uns erklärt, dass er seiner Scheiße jetzt Musik von Mozart vorspielt, damit die für den Zersetzungsprozess engagierten Mikroben besser gelaunt sind und flotter arbeiten, sodass am Ende weniger Schlamm übrig bleibt.
Mit Violinkonzerten werden also neuerdings nicht mehr nur Bildungsbürger in Konzertsäle hinein- und Dealer aus Bahnhöfen herausgetrieben, sondern auch Mikroben motiviert. Dabei wirkt der Klärwerkstyp, seinem schmutzigen Gewerbe nicht unangemessen, eher hemdsärmelig als wie ein Esoteriker oder gar ein Esoteriklehrer für Mikroben. Überdies galten Mikroben in der öffentlichen Wahrnehmung bislang als komplette Idioten ohne Ohren und Zentralnervensystem. Wie soll das folglich funktionieren?
Nun, da hat man die pfiffigen kleinen Burschen offenkundig unterschätzt. Denn Mikroben brauchen keine Ohren; sie fühlen die Musik mit jeder Fiber ihres Körpers und, ja, ihrer Seele. Die Seele speziell des Mikrobenweibchens ist, zum Ausgleich für die relative Primitivität seiner Physiognomie, von wunderbarer Größe und Vielfalt.
Solcherlei Kategorien sind nun mal unter dem Mikroskop nicht nachprüfbar, und dennoch sind sie nach der Arithmetik der Natur nur logisch, denn die behandelt unter dem Strich alle gleich. So ist der Elefant groß, sieht aber schlecht. Der Mensch kann klasse nachdenken, hat aber einen miesen Charakter. Der Affe ist geschickt, doch mangelt es ihm an Ernsthaftigkeit. Die Wühlmaus ist dumm, dafür rührend sensibel. Die Mücke lebt nicht lang, zum Ausgleich jedoch äußerst intensiv. Die Gurke trägt ein leuchtend grünes Kleid, ist aber sehr langsam. Und so weiter.
Na, klingelt’s? So rechnet die Natur, so gleicht sich bei ihr alles aus. Sogar innerhalb derselben Spezies. Denn wie angedeutet, ist die Seele des Mikrobenmännchens nicht ganz so feinziseliert wie die seiner Liebsten. Während die Mikrobenfähe nämlich „Mozart, Mozart, Mozart“ fühlt, fühlt der wiederum kräftigere und technikinteressiertere Mikrobenbock immer nur „Scheiße, Scheiße, Scheiße“ Umso besser ergänzen sich beide beim Zersetzen des Klärschlamms: emotionale Intelligenz hier und Tatendrang dort, Bauhaus in Dessau gegen Bauhaus an der Hasenheide, Yin und Yang, Messi und Tévez.
Wäre ich allerdings Mozart, stänke mir die Sache vermutlich schon ein bisschen. „Ich hab mir doch nicht die Finger blutig komponiert, um hier irgendwelche nordhessischen Kackmikroben zu bespaßen“, würde ich denken. „Was muss der Herr Vater denken – und das Nannerl erst!“
Eine derart prätentiöse Haltung gestehe ich einem klassischen Komponisten gerade noch mal zu. Hingegen sollten bodenständigere Unterhalter wie Hütchenspieler, Clowns oder Literaten ihre albernen Vorurteile getrost beiseiteschieben. So wäre ich selber keinesfalls beleidigt, wenn sie der Scheiße meine Texte vorlesen würden, allzumal im Fernsehen. Ich glaube, ich wäre sogar ein bisschen stolz. Schließlich wäre es für einen guten und nützlichen Zweck. Da kann man ruhig mal ein paar Meter vor die Tür seines Elfenbeinturms treten.