DIE MEISTEN HÄUSER IN UNSEREM ORT STEHEN LEER, ABER WENIGSTENS BLEIBT DER GERUCH VON SCHWEINESCHEISSE : Ein Sonntagsspaziergang
REBECCA CLARE SANGER
Vorwärts, rückwärts, seitwärts, ran: dass wir Nachbarn zu drei Seiten von uns haben – Frank, der bei Scandlines arbeitet, Bodil und Otto, die hier geboren sind und immer gute Laune haben und Anette und Flemming, die ihre Immergrünhecke in Form einer Festungsmauer schneiden – lenkt davon ab, dass fast alle anderen Häuser im Ort leer stehen.
Und eins, und zwei, und drei, und vier, und fünf und sechs und sieben und acht und neun und zehn: ein Hut, ein Stock, ein Damenunterrock. In den Fenstern der Häuser keine Seltenheit. In den Gärten: umgekippte, gesprengte Briefkästen, die zu Neujahr mit Feuerwerkskörpern gefüllt worden waren, Giersch, Brennnesseln, Motorräder und eine Christrose, die ich gerne klauen möchte. Das ehemalige Hjertebjerg Café soll abgerissen werden, Otto weiß, dass es vor zwanzig Jahren dem Mann gehörte, der auch den Kaufmannsladen in Råbylille führte. Neben dem Café ein Haus, das, seit ich es kenne, in Trauer eine Plane über seine Fenster trägt. Das Haus mit den weißen Verandastufen, die in den großen, weiten, gepflegten Garten führen, muss auch leer stehen: Ich seh es an den ungenutzten Mülltonnen.
Heute morgen schien die Sonne, wir öffneten die Fenster und rochen Schweinescheiße, im Schlafzimmer, in der Küche, auf dem Klo und im Garten. Unsere eigenen Unpässlichkeiten konnten wir schon gar nicht mehr riechen, ich nutzte die Gelegenheit und brannte die Milch an, ließ den Windeleimer offen stehen und aß Knoblauch zum Frühstück. Was soll’s.
„Das muss der Bauer neben dem Mechaniker sein, der Wind steht nämlich nördlich“, weiß John dem Elend eine sportliche Note abzugewinnen, ich beginne meinen Hundespaziergang auf dem Rad, dass ich bei dem Bauern neben dem Mechaniker – wo es ganz unerhört stinkt – mit einem Platten abstelle. Die deutschen Touristen in den Autos kann man immer gleich erkennen, sie sehen entspannt hinter dem Steuer aus und fahren langsam. Sie tanken Sonne und genießen die Landluft. Nur die Mütter sehen etwas angespannt aus: sind die Häuser hier tatsächlich unbewohnt – könnte der Lasse vielleicht hier mal kurz ungestört ums Eck’ huschen?
Der Bauer neben dem Mechaniker hat eine mindestens 20-armige Spinne hinter seinen Traktor gesetzt und tränkt seine Felder in Gülle. Ich wünsche mir, dass mein Hund vor seinen Hof kackt, aber das macht mein Hund nicht. Stattdessen jagt er den Hasen, der von der Güllespritzmaschine aufgeschreckt seine Heimat verlässt; rechts, links, der Hase schlägt Haken, mein Hund läuft, der Traktor spritzt. Bauern sehen jagende Hunde auf ihren Feldern genauso ungern wie Jäger es tun, denke ich und schreie den Namen meines Hundes in den Wind.
Der Hund liegt inzwischen erschöpft im Feld und denkt nicht daran zurückzukommen, stattdessen tut der Traktor es, mitten auf der Straße rückt er auf mich zu. „Er ist gekommen, um sich zu rächen“, denke ich und schnalle meinen Hund, der inzwischen bei Fuß ist, bitterböse an, aber der Traktor fährt unbeirrt weiter, an mir vorbei, um die nächste Ladung Elend zu holen. Nur jetzt, wo ich hier sitze und schreibe, fällt mir seine Rache auf.
Denn ich stinke nach Schweinegülle. Ich drehe meinen Kopf nach rechts oder links und das Haar trägt den Geruch in meine Nase: Hacke, Spitze: hoch das Bein!
Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; von ihr erschien bei Michason & May „Hamburg Walking“, ein Sammelband mit Hamburger Szenen aus der taz