DIE MEHRHEIT DER KOSOVA-ALBANER WILL KEINE NEUEN KRIEGE: Der Westen muss energisch durchgreifen
Im alten Tito-Jugoslawien war das Buch „Wenn der Frühling sich verspätet“ Pflichtlektüre für albanische Schüler. Der Autor, ein prominenter kosova-albanischer Kommunist, berichtet darin vom gemeinsamen Kampf der Serben, Albaner und anderer Balkanvölker gegen die Nazi-Armeen. Als die Autonomie Kosovas 1989 aufgehoben wurde, gehörte er zu den ersten „Kadern“, die Belgrad abservierte. Was dann geschah, ist bekannt: Milošević setzte seine Truppen in Marsch, der jugoslawische 22-Millionen-Einwohner-Staat ging in blutigen Kriegen unter. Die albanischen Schüler mussten ihre Klassenzimmer gegen provisorische Räume in Privathäusern tauschen, und „Wenn der Frühling sich verspätet“ verrottete in den Schulkellern. Dennoch wirkte der Titel fort – fast wie ein Fluch.
Tatsächlich verspätet sich der Frühling in Exjugoslawien bereits seit einem Jahrzehnt. Immer wenn es auf dem rauen Balkan wärmer wird, krachen Gewehre, explodieren Granaten, stehen Häuser in Flammen – und unschuldige Menschen werden umgebracht oder vertrieben. Im Westen breitet sich derweil ein routiniertes Entsetzen über die „wilden Balkanesen“ aus. Diplomaten verurteilen dies und jenes und senden ihren karrierebewussten Nachwuchs aus, um zu vermitteln. Die Emissäre aber lassen sich stattdessen von ein paar bauernschlauen Balkanpolitikern mit leeren Versprechungen hinters Licht führen. Nicht anders ergeht es den Experten in den Schaltzentralen westlicher Macht: Sie haben längst den Überblick über das balkanische Beziehungsgeflecht verloren. Das geht nun schon zehn Jahre so – und im elften Jahr wird sich vermutlich auch nichts daran ändern.
Sicher, wir alle haben erleichtert aufgeatmet, als Milošević am 8. Oktober vergangenen Jahres gestürzt wurde. Naiv, wie wir sind, hofften wir, dass der nächste Frühling auf dem Balkan endlich einmal friedlich bleibt. Aber schon werden wir eines Besseren belehrt. Das liegt diesmal nicht daran, dass besagter Milošević, der Stifter des Wahnsinns auf dem Balkan, noch immer nicht hinter Gittern sitzt. Es liegt an einem Häufchen albanischer Radikaler, die nicht zur Besinnung kommen wollen.
In ein paar von Albanern bewohnten Dörfern an der makedonischen Grenze zu Kosova und im südserbischen Presheva-Tal sind Politkommissare unterwegs, im Marschgepäck Karten „ethnisch albanischer Gebiete“, die verbohrte Ideologen der „heiligen albanischen Sache“ in ihren Studierstuben angefertigt haben. Söldner aus allen Kriegen Exjugoslawiens und naive Bauernjungen werden mit in Albanien gestohlenen chinesischen Kalaschnikows ausgestattet – und fertig ist die „Befreiungsarmee“, die serbische und makedonische Soldaten aus dem Hinterhalt überfällt.
Weil sich anscheinend alles wiederholen soll, sind auch schon bald wieder hunderte von einfachen Sterblichen auf der Flucht – ganz so, wie in jenen schlimmsten Tagen des Jahres 1999, nur in umgekehrter Richtung. Zugleich wird in Belgrad über Bündnisse mit der Nato geredet, als sei das das normalste Ding der Welt. Bulgarien hat es eilig, Makedonien Truppen anzubieten, denn von bulgarischen Truppen in Skopje hat man in Sofia schon immer geträumt. In Griechenland bricht Panik aus. Die Türkei beobachtet misstrauisch, was sich dort abspielt. Das zerrissene, krisengeschüttelte Albanien gerät noch tiefer ins Dilemma. Westeuropa und die USA rüsten sich wieder einmal zum Löschen. Und was bei all dem herauskommt, weiß wie immer der Teufel.
Das Problem an der Sache ist diesmal, dass die Lunte in Kosova gezündet worden ist. Mit Hilfe des Westens, der gerne auf der Seite der Opfer ist, hat es sich Milošević’ Truppen vom Hals geschafft. Dann kam die Welle von Morden an unschuldigen Roma, Serben und oppositionellen Albanern, und jetzt geht es weiter in Südserbien und Makedonien. Ein paar Opfer von gestern wollen sich nach Balkanart zu Helden aufschwingen, und bei den Helfern von gestern breitet sich Entsetzen aus, weil die Albaner, wie sich zeigt, womöglich auch nicht besser als die Serben sind. Was andere, wie sie unermüdlich betonen, schon immer gewusst haben.
Tatsache ist, dass es auf dem Balkan weder Engel noch Teufel gibt. Die albanischen Extremisten, das muss deutlich gesagt werden, finden bei der erdrückenden Mehrheit der Albaner keinerlei Unterstützung. Die Kosovaren haben bei den ersten freien Wahlen den Radikalen eine eindeutige Absage erteilt. Das sollte der internationalen „Kosovo Force“ Hinweis genug sein, wo sie anzusetzen hat. Brandgefährlich sind auf jeden Fall die Gedankenspiele über eine Rückkehr jugoslawischer Truppen – man sollte sie schnell vergessen. Die internationale Gemeinschaft hat genügend Mittel an der Hand und dazu die Unterstützung der kosovarischen Bevölkerung. Angesagt sind nicht Konferenzen und Verhandlungen, sondern ein energisches Eingreifen. BEQË CUFAJ
Albanischer Schriftsteller aus Kosova. Übersetzung: J. Röhm
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