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Archiv-Artikel

DIE LEHRSTELLENMISERE IST DRAMATISCHER, ALS SIE SCHEINT Absurdes Theater

Das Thema Ausbildungsumlage freut alle, die Politik gern als taktisches Theater betrachten: SPD-Chef Müntefering gegen Parteilinke, SPD-Bildungspolitiker gegen SPD-Länder, Handelskammern gegen Arbeitgeberverbände. Am Ende aber dürfte es einen Ausbildungspakt zwischen Regierung und Wirtschaft geben, der verspricht, etwa 30.000 zusätzliche Lehrstellen zu schaffen.

Faktisch fehlen jedoch rund 200.000 Ausbildungsplätze pro Jahr, denn viele Jugendliche verschwinden aus der Statistik. Sie besuchen berufsvorbereitende Kurse, machen Wehrdienst oder melden sich nicht mehr bei den Arbeitsagenturen. So wie diese Jugendlichen ignoriert werden, so geht auch unter, dass die Lehrstellenkrise weit mehr bedeutet als eine statistische Lücke. Sie führt vor, wie absurd manche Lieblingsdiskurse sind.

Da ist etwa die Litanei von der „demografischen Katastrophe“ und dass die Frauen ihren „Gebärstreik“ beenden müssten. Doch blieben nicht viele Kinder ungeboren, würden sie die Ausbildungsmisere nur noch verschärfen. Dann gibt es die Dauerklage, viele Bewerber seien zu doof für eine Ausbildung. Der Erwerbslose ist schuld, das klingt bekannt: Auch vier Millionen erwachsene Arbeitslose müssen sich ständig vorwerfen lassen, sie seien zu ungebildet, obwohl es keine Stellen gibt. Sicher, es hapert am deutschen Basisunterricht. Dennoch ist von Förderprojekten für Hauptschüler nichts zu hören, stattdessen sind Elite-Unis modern. Die Politiker, meist Akademiker, finden ihre eigene Standesgruppe interessanter.

Schließlich zeigt die Ausbildungsmisere, wie sinnlos es ist, auf Vollbeschäftigung zu hoffen: Vor allem personalintensive Branchen bilden aus, etwa das Handwerk. Doch viel Personal bedeutet, dass sich kaum rationalisieren lässt. Diese Branchen sind tendenziell nicht konkurrenzfähig und schrumpfen. Es ist dramatisch: Wer nicht ausgebildet ist, wird arbeitslos. Aber auch mit einer Lehre ist das Risiko groß, bald ohne Arbeit dazustehen. Es wäre schön, wenn Theater einmal Realität sein könnte – und es tatsächlich nur um 30.000 Lehrstellen ginge. ULRIKE HERRMANN