DIE KAMPAGNE GEGEN DEN NAZI-HOTELKAUF IN DELMENHORST IST FALSCH : Teurer Ablasshandel
Eins steht fest: Ob der Nazi-Anwalt Rieger nun das Hotel in Delmenhorst bekommt oder nicht – der Kommune ist schon jetzt zumindest eine Fußnote in der Geschichte des Fundraisings sicher. In acht Tagen haben Bürger mehr als 640.000 Euro Spenden überwiesen, und sie sammeln weiter: Der Fleischer verkauft Bratwurst gegen rechts, Vegetarier können Biotomaten gegen Rieger futtern.
Was in Delmenhorst passiert, ist in Deutschland noch immer die Ausnahme – sechs Jahre, nachdem Kanzler Schröder zum „Aufstand der Anständigen“ blies. Die Regel ist: Meist wird weggeschaut, wenn Schwarze ins Koma geprügelt oder braune Geschäfte angebahnt werden. Doch auch die Delmenhorster Kampagne taugt nicht zum Vorbild. Die Stadt will sich freikaufen von den Neonazis: Hauptsache, das Pack zieht nicht ins beschauliche Bremer Umland, so lautet das Motto.
So verständlich man diesen Reflex finden mag – er greift zu kurz. Ein „Erfolg“ der Kampagne hieße, dass Millionen auf das Konto eines moralfreien Geschäftsmanns wandern würde. Zum Dank für seine Skrupellosigkeit bekäme er damit den Lebensabend versüßt. Wann der Nazi-Anwalt Rieger an anderem Ort mit einer Kaufabsicht auftaucht, ist aber nur eine Frage der Zeit. Zumal solche Deals geradezu zur Nachahmung auffordern: Wer auf einer Schrottimmobilie sitzt, braucht nur einen Rechtsextremen, der Kaufgelüste simuliert, schon winken ihm Höchstpreise. Warum sollten die Nazis da nicht gleich eine Provision verlangen?
Geradezu abenteuerlich wirkt die Delmenhorster Kampagne angesichts der alltäglichen Geldnot, der etwa ostdeutsche Opferberatungsstellen ausgesetzt sind. Die bislang angepeilte Marge für den Notkauf entspricht einem Sechstel des Jahresetats aller Bundesprogramme gegen rechts. Am eigentlichen Problem – der rechtsextremen Stimmungsmache und der alltäglichen rassistischen Gewalt – ändern derlei Ablasszahlungen aber nichts.
Soll Rieger doch kaufen! Denn irgendwo muss man sich ja mit den Neonazis auseinandersetzen und im Alltag Zivilcourage zeigen. Warum nicht in Delmenhorst? ASTRID GEISLER