DIE IRISCHE ABSTIMMUNG ZEIGT, WIE DRINGEND DIE EU REFORMEN BRAUCHT: In Brüssel wird’s zu eng für Denkverbote
Ganz Europa hat über die Posse gelacht, dass ein widerspenstiges Inselvolk so oft an die Urne gerufen wurde, bis endlich das gewünschte Ja zum Nizza-Vertrag dabei herauskam. Der Vorgang zeigt, dass die europäischen Verträge für diese verfahrene Situation keine Lösung bereithalten. Die Iren stellen weniger als ein Prozent der EU-Bevölkerung. Wenn die irischen Wähler aber beschließen, eine Rechnung mit ihrer Regierung auf dem Umweg über Brüssel zu begleichen, dann blockiert das die Zukunft von 370 Millionen EU-Bürgern und 75 Millionen Menschen in den Kandidatenländern.
Das Problem ist alt. Nach dem Wahlsieg der Haider-Partei in Österreich wurde es zum ersten Mal breit diskutiert. Berlusconis Aufstieg in Italien und die geplatzte Regierung in den Niederlanden machen es ein weiteres Mal deutlich: Die Frage, was mit EU-Mitgliedern passiert, die eine Auszeit von der Gemeinschaft wollen oder von denen die Gemeinschaft eine Auszeit verlangt, ist nicht geklärt. Ganz zu schweigen davon, dass weder ein Rausschmiss noch ein Austritt aus der EU möglich ist. Auch in Nizza ist den Regierungschefs dafür keine Lösung eingefallen. Dabei wird die Frage mit jedem neuen Mitglied drängender. Wer kann sagen, welche Partei in zehn Jahren in der Slowakei das Sagen hat oder wie sich die Zusammenarbeit mit dem geteilten Zypern entwickelt – selbst eine Staatskrise in Malta mit seinen 400.000 Einwohnern könnte die dann auf 450 Millionen Mitglieder angewachsene Union blockieren.
Der EU-Konvent, der derzeit die nächste Vertragsreform ausarbeitet, muss ein Verfahren entwickeln, das die Möglichkeit der ruhenden Mitgliedschaft und der verstärkten Zusammenarbeit im engeren Kreis detailliert beschreibt. Er muss auch die heikle Frage beantworten, was eine Regierung anstellen muss, damit ihr Land aus der Union ausgeschlossen wird. Umgekehrt muss es auch ein geregeltes Austrittsverfahren geben.
Bislang galt ein Denkverbot für das Szenario einer sich wieder verkleinernden EU. Doch das vertragliche Regelwerk der Gründerväter hat sich längst überlebt. In einer Union der 25 Mitglieder kann man sich Denkverbote nicht mehr leisten.
DANIELA WEINGÄRTNER
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