DIE GESELLSCHAFTSKRITIK : Gangster mit Wermutstropfen
WAS SAGT UNS DAS? Der Hack der global organisierten „Cyber-Bankräuber“ war: Widerstand
Eigentlich sollte man doch froh sein, wenn immer mehr Kriminelle, statt mit roher Gewalt zu arbeiten, ihr Gehirn benutzen: „Die herkömmlichen Banküberfälle gehen stark zurück“, titelte die Berliner Zeitung in der Rückschau zu ihrem Bericht über die internationale Bande von „Cyber-Bankräubern“, die rund 50 Millionen Dollar/Euro erbeutete, indem sie sich u. a. in den Computer einer indischen Firma einhackten. Dabei kamen sie an Geheimnummern von Kreditkarten arabischer Banken, mit denen die Sympathisanten der Hacker dann an Tausenden von Geldautomaten Erfolg hatten. Im Neoliberalismus zählt nur der Erfolgreiche – und als solche fotografierten sich die Täter auch: mit dicken Geldbündeln in der Hand, zur Freude der Ermittler.
Es fällt ein Wermutstropfen auf die schnelle Aufklärung gerade dieses Verbrechens: Hat man uns nicht alle gezwungen, nach der Deindustrialisierung des Westens und seiner Ökologisierung auf die Wertschöpfungstiefe von Algorithmen zu setzen? Es können nicht alle fest angestellte Wolfs- oder Wattenmeerschützer werden! Millionen haben sich deswegen zu Webpage-Gestaltern und Ähnlichem umschulen lassen. Viele resignierten jedoch vor der neuen Technologie und kehrten in die Muckibuden und Bräunungsstudios zurück oder ließen sich als Club-Türsteher oder Fahrkartenkontrolleur „unterbringen“.
Der kürzlich verstorbene Medienwissenschaftler Friedrich Kittler hielt nicht viel von den „Hackern“, auch das Internet ließ ihn kalt: Zuvörderst müssten wir die „Hardware“ durchdringen, meinte er; so wie einst Millionen von Kfz-Lehrlinge den Ottomotor. Denn unsere „Unkenntnis“ ist laut Kittler „selbst Effekt von Programmierungen einer marktbeherrschenden Softwareschmiede“, die sich anheischig macht, die „User“ schon bald ebenso wie ihre Computer zu „programmieren“.
Der global organisierte Hack war ein Akt des Widerstands dagegen, auch wenn die nichtkriminellen Investmentbanker darüber lachen mögen. Die bürgerliche Presse schrei(b)t schon mal – im Interesse der „Geschädigten: der Banken“ – nach mehr „Sicherheit bei den modernen Bezahlsystemen“. Soll sie! Es ist ein Hase-Igel-Rennen: Schon seit den Achtzigerjahren müssen die Hersteller elektronischer Kassen jedes Jahr ein neues Modell auf den Markt bringen, weil die daran Beschäftigten sie bis dahin „geknackt“ haben. Natürlich gibt es nach wie vor handarbeitende Brutalos wie die Mircea-Bande, die die Geldautomaten in den ländlichen Sparkassen Brandenburgs mit Lastwagen aus ihrer Verankerung reißen und dann damit abhauen. Dass es aber neulich Nachahmer gab, die stattdessen mit dem Kontoauszugsdrucker abhauten, darf eigentlich nicht mehr vorkommen: Überall bieten die Volkshochschulen inzwischen Computerkurse an. HELMUT HOEGE