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Archiv-Artikel

DIE GESELLSCHAFTSKRITIK Ödnis in Reimkultur

WAS SAGT UNS DAS? Bushido rappt einen neuen Skandal aus dem Boden. Darin versinken sollten alle, die ihn mit einer Anzeige adeln

Langweilt Bushido sich eigentlich manchmal selbst? Klagt er in dunklen Stunden seiner Anna Maria oder seinem Arafat das Leid eines Skandalrappers, der mit jedem neuen Song eine Schippe drauflegen, immer noch mehr provozieren muss, damit weder Fans noch Medien irgendwann denken, ach, der Bushido, der war auch schon mal krasser, und flugs einen neuen Maulhelden vom Dienst küren?

Eingestehen dürfte er das öffentlich nie – so was machen nur Opfer! –, aber wenigstens heimlich? Oder reibt er sich doch nur in einer Tour die Hände?

Die gute Nachricht für Bushido ist nämlich zugleich eine schlechte für so ziemlich alle anderen (von seinen paar unermüdlichen Fans mal abgesehen): Ja, er kann es noch, der „Aufmerksamkeitsparasit“, wie der Grünen-Politiker Omid Nouripour Bushido nannte. Das Aufatmen der Bild-Redaktion, nicht weiter aus einem peinlichen ZDF-Spot einen Skandal stricken zu müssen, war bis in die taz zu hören: „Wowereit Strafanzeige gegen Bushido“, titelte das Boulevardblatt am Samstag. Wenn nicht schnell was Wichtiges passiert, hält sich die Geschichte noch ein paar Tage. Versprochen: „Bild bleibt dran!“ Immerhin ermittelt ja jetzt der Staatsanwalt!

Was war überhaupt passiert? Für alle, die gerade erst vom Mond zurückgekommen sind, hier die Kurzzusammenfassung: das Übliche halt. Bushido disst in einem Musikvideo seines Kumpels „Shindy“ allerlei (Polit-)Prominenz: neben Wowereit etwa Claudia Roth und Oliver Pocher. Die Reime sind gewohnt kühn, die Aufregung ist vertraut reflexhaft. „Auch wenn YouTube das Video entfernt hat, haben wir die 1.000.000 Klicks in unter 48 Stunden geknackt“, frohlockte Bushido auf Twitter. Mit vier Ausrufezeichen – als könnte er es selbst kaum glauben, dass die Masche immer noch so gut zieht. Bushido ist der einzige deutsche Star, der mehr Gegner als Fans mobilisiert. Um Musik geht es nur am Rande, eher um eine Perversion von Aktionskunst: ein spätpubertäres Nichts, umwölkt von viiiiel öffentlicher Erregung.

Diese Einordnung ist zugegeben nur die zweitbeste mögliche Reaktion. Für die beste entschied sich Claudia Roth: Die Grünen-Chefin ließ durch ihren Sprecher ausrichten, sie plane bisher keine rechtlichen Schritte. Nicht durch den Reifen zu springen, den Bushido ihr hinhält, ist vernünftig, denn in dessen kruder Ghettoboy-Logik adelt juristischer Gegenwind seine Songs. Und das haben beide nun wirklich nicht verdient.

Die schönste Pointe zum Thema liefern übrigens die Interpreten selbst: Der umstrittene Song heißt „Stress ohne Grund“.

DAVID DENK, JÜRN KRUSE