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Archiv-Artikel

DIE GESELLSCHAFTSKRITIK Endlich abgefahren

WAS SAGT UNS DAS? Die 14-jährige Niederländerin Laura Dekker ist zu ihrer Solo-Weltumseglung aufgebrochen. Nach dem Motto: Ich mach die Welt, wie sie mir gefällt

Nun ist Laura Dekker endlich in See gestochen. Alleine, für die nächsten zwei Jahre. In einem Alter, in dem die meisten endgültig Abschied von der Kindheit nehmen und sich über die Tücken der Pubertät ärgern.

Gerade in dieser Zeit scheint es verlockend, einfach aufzubrechen in ein großes Abenteuer, sich den Zwängen des Erwachsenenlebens zu entziehen. Das Weglaufen, Ausbrechen, ist deshalb auch oft Gegenstand von Kinder- und Jugendliteratur.

Wie in einem Roman

Die jugendlichen HeldInnen setzen das um, wovon viele Kinder selbst träumen: Sie brechen aus bedrückenden Familienverhältnissen aus oder folgen einfach ihrer Neugier auf das Unbekannte. Geschichten wie die von Tom Sawyer und Huckleberry Finn, die auf einem Floß den Mississippi herunterfahren, sind Ausdruck dieser kindlichen Lust, neue und ungewöhnliche Dinge auszuprobieren. Das hat oft weniger mit Mut zu tun als mit dem Fehlen all der sozialen und beruflichen Verpflichtungen und Gebundenheiten, die sich mit dem Erwachsenwerden so ansammeln. Nie ist man so frei von solchen Bindungen wie im Alter zwischen 10 und 15 Jahren.

Eine der schönsten Vorbilder für diese Freiheit bietet seit über sechzig Jahren Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf. So scheint es auf den ersten Blick logisch, dass Dekker in den Medien mittlerweile die „Pippi Langstrumpf der Weltmeere“ genannt wird. Ausgerechnet diese Figur aber, die zu den vorwitzigsten und furchtlostesten KinderheldInnen der Literatur gehört, ist nie selbst in See gestochen. Bei ihr ist es der Vater, der als Seeräuberkapitän von allen sozialen Zwängen befreit in der Karibik lebt. Frei auch von seinen Aufgaben als alleinerziehender Vater. Als er sie eines Tages doch mit sich nehmen will, verzichtet Pippi auf das wilde Seeräuberleben, um bei ihrer wahren Familie – ihren beiden Freunden zu bleiben. So setzen sich auch hier alte Rollenklischees durch: Jungen lassen soziale Bindungen leichter zurück, wenn es Neues zu entdecken gibt. Die Mädchen bleiben im Zweifelsfall bei ihren Liebsten.

Mit diesem Muster räumen Mädchen wie Laura Dekker auf und erobern sich somit eines der letzten männlich besetzten Felder: das Recht fortzugehen.

ARIANE LEMME