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Archiv-Artikel

DIE FDP VERLIERT, UND DER TREND LÄSST SICH NICHT WENDEN Parteiprogramm ohne Programmpartei

Die FDP streitet sich. Das machen Parteien häufig, das ist nichts Neues. Aber die Liberalen führen einen Streit der Extraklasse. Sie ringen nicht um Inhalte, wie es in der SPD oder in der CDU etwa bei der Steuerpolitik geschieht. Nein, die FDP streitet um die Frage, welches Programm sie opportunerweise entwickeln sollte.

Die Liberalen haben noch keine Inhalte, sie suchen sie erst. Sie haben geschafft, was noch keiner Partei gelungen ist: Sie führen einen Meta-Streit. FDP-Chef Guido Westerwelle nannte es gestern lieber eine „produktive Diskussion“. In den Begriffen der Parteienforscher ließe es sich nüchtern auch so beschreiben: Die Liberalen sind noch immer eine reine „Funktionspartei“, ein potenzieller Mehrheitsbeschaffer. Es ist ihnen nicht gelungen, eine „Programmpartei“ zu werden. Die FDP ist keine Marke, hat kein Profil.

Auch die Liberalen können nicht definieren, was sie sein sollten. „Keine Volkspartei“, analysiert der Ehrenvorsitzende Graf Lambsdorff. Zu Recht. Union und SPD sind schon für die Massen da. „Keine Klientelpartei“, findet der Berliner FDP-Fraktionsvorsitzende Martin Lindner. Auch zu Recht. Es ist wenig aussichtsreich, sich nur auf Verlierergruppen wie Staatsdiener, Apotheker und Handwerker verlassen zu können. Dieser Mittelstand schrumpft; der Sonderschutz durch Beamtenrecht und Meisterbrief wird langfristig entfallen. Die FDP müsste neue Wählergruppen erschließen.

Aber zwischen Volkspartei und Klientelpolitik, was könnte da als pfiffige Alternative bleiben? Die Antwort ist bitter für die FDP: Grün. Während den Liberalen das seltene Missgeschick passiert, in der Opposition die Wählergunst zu verlieren, ist es bei den Grünen umgekehrt – sie legen in der Regierung sogar zu. Sie sprechen längst jene modernen Bildungseliten an, die auch die Liberalen gern gewinnen würden. Manchmal punkten die Grünen sogar mit Forderungen, die aus dem FDP-Parteiprogramm abgeschrieben sein könnten: „Mehr Eigenverantwortung“ bei den Sozialversicherungen etwa wollten Liberale schon immer. Aber ein Parteiprogramm macht noch keine Programmpartei, das ist eine weitere bittere Lektion für die FDP.

Und so streiten die Liberalen ratlos und ungehemmt. Nur ein Name wird gemieden: Möllemann. Doch langfristig wird die FDP seiner Kernerkenntnis nicht entkommen, dass die Partei nur überlebt, wenn sie bei der größten Wählergruppe punktet – bei den Nichtwählern. Die Liberalen in allen anderen europäischen Ländern haben vorgemacht, wie erfolgreich Populismus sein kann. Auch das ist bitter. ULRIKE HERRMANN