DIE EU FLIEHT IN DIE AUSSENPOLITIK UND VERMEIDET STRUKTURREFORM: Der Monica-Lewinsky-Effekt
Es ist doch wirklich verhext: Jedes Mal, wenn die europäische Herrenrunde mit Damengarnitur zusammentrifft, um die EU-Strukturprobleme anzupacken, stört die verflixte Außenpolitik. Im Juni 1997 in Amsterdam zum Beispiel. Da waren alle wild entschlossen, eine tragfähige Reform zu beschließen, ehrlich. Wenn Milošević aber in Bosnien verrückt spielt, dann wandert der Balkan eben auf der Tagesordnung ganz nach vorn.
Oder im März 1999 in Berlin. Da wollte sich Gerhard Schröder ernsthaft mit den Milchquoten beschäftigen und eine seriöse finanzielle Planung bis 2006 zustande bringen – aber Agrarverhandlungen sind ein zähes Geschäft, Zahlen überhaupt nicht sexy. Deshalb konzentrierten sich die Herren lieber auf die aktuelle Kosovokrise und die gemeinsame Strategie mit Rußland. Die hingepfuschte Agenda 2000 rächt sich heute: Da der Konflikt um sinnlose Agrarsubventionen in Berlin vertagt wurde, fließt weiter die Hälfte des EU-Budgets in die industrialisierte Landwirtschaft. Für Soforthilfe in Serbien ist dann kein Geld übrig.
Oder im Juni 1999 in Köln: Da wollte man sich eigentlich auf die Grundzüge einer gemeinsamen Außenpolitik verständigen. Doch dann brannte das Kosovo. Also schuf man ad hoc einen neuen Job für Herrn Solana und ernannte ihn zum hohen Repräsentanten, ohne seine Aufgaben von denen des außenpolitischen Kommissars und des amtierenden Ratspräsidenten abzugrenzen. Auch dieses Problem hängt der EU bis heute nach. Ob zum heutigen Nahostgipfel nicht besser ein höherrangiger Vertreter als Solana entsandt werden sollte, wurde der französische Außenminister Védrine in Biarritz gefragt. Der fand die Frage weder absurd noch beleidigend. Ist sie ja auch nicht.
Beim Gipfel in Biarritz ist die Methode, durch außenpolitische Aktionen von inneren Problemen abzulenken, ein weiteres Mal angewandt worden. Eigentlich hätten dringend die Details der nächsten EU-Reform diskutiert werden müssen. Ein paar Stunden haben sich die Herrschaften damit auch abgegeben. Dann aber wandten sie sich der sehr viel befriedigenderen Aufgabe zu, Koštunica in der demokratischen Familie willkommen zu heißen.
Diese Ablenkungsmethode ist von der EU nicht erfunden worden. Jeder Machtpolitiker beherrscht sie. Wenn aber Bill Clinton lieber den Balkan befreit, als über Monica Lewinsky zu reden, dann ist er wenigstens dadurch legitimiert, dass er die alleinige Zuständigkeit für die US-Außenpolitik hat. In Nizza werden die EU-Chefs einen weiteren ernsthaften Versuch unternehmen, ebenso klare Strukturen zu schaffen. Wenn sie nicht wieder irgendwo auf der Welt ein bisschen Außenpolitik machen müssen. DANIELA WEINGÄRTNER
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