DIE ENTSORGER HABEN KEINEN GRUND ZUM JAMMERN : Zu viel Müll für wenig Staat
Die Sache mit dem Müll stinkt gewaltig. Seit Juni muss Abfall entgiftet werden, bevor er auf die Deponie kommt – doch für die Entschlackungskur fehlen die Anlagen oder sie sind richtig teuer. Deshalb bleiben jetzt viele Entsorger auf ihrem Dreck sitzen. Sie sind selbst schuld: Die Branche hat sich verkalkuliert.
Verkalkuliert? Das ist viel zu nett gesprochen. Aussitzen passt besser. Die Zeit zur Vorbereitung war extrem lang, die Regelung kam keineswegs überraschend. Schon die CDU-Regierung von Helmut Kohl hatte sie 1993 zu Recht beschlossen. Schließlich ist es riskant, wenn unter freiem Himmel ein Gemisch aus Küchenresten, Rostschutzmitteln und Plastikteilen verrottet. Nach oben entweicht das besonders klimaschädigende Methangas. Unten sammelt sich eine giftige Brühe, die Boden und Grundwasser belastet.
Es ist bei weitem nicht die erste Abfallregel, die die Entsorger ignorieren. Anfang der 90er-Jahre schafften sie den Grünen-Punkt-Müll kostengünstig nach Bulgarien oder China, anstatt ihn wie vorgeschrieben hierzulande zu recyceln. Zehn Jahre später boykottierten sie in einer unseligen Verbindung mit dem Einzelhandel das Dosenpfand. Und immer mal wieder taucht deutscher Giftmüll im Ausland auf. Solche Machenschaften sind für die kleinen Entsorger, die zumeist aus der Tradition eines Schrotthändlers kommen, oft eine Nummer zu groß. Es profitieren dabei vor allem die Großen auf dem hart umkämpften, da geldbringenden Müllmarkt. Sie werden noch mächtiger und die Gesetzgeber indes noch machtloser – gegen den systematischen Abfallboykott.
Obwohl? Zwei Chancen hätte die Regierung, sei es die jetzige, sei es eine künftige andere mit der Ex-Umweltministerin an der Spitze. Zum einen muss sie dafür sorgen, dass weniger Müll produziert wird. Zum anderen hat sie der Industrie ihre Grenzen aufzuzeigen, denn die abfallpolitische Obstruktion der letzten Jahre ist unerträglich. Lässt sich der Bund hier auf der Nase herumtanzen, gehen selbst die kleinen Fortschritte der Neunzigerjahre wieder verloren. HANNA GERSMANN