DIE ENTFÜHRUNG IM IRAK HAT MIT MERKELS IRAKPOLITIK NICHTS ZU TUN : Gnade der späten Wahl
Es scheint, als könne Angela Merkel ihrer Vergangenheit nicht entkommen. Dass womöglich deutsche Soldaten im Irak stünden, wäre die Kanzlerin schon bei Kriegsbeginn im Amt gewesen – das ist bis heute der größte Vorbehalt, den die Mehrzahl der Deutschen gegen die Regierungschefin hegt. Da passt es ins Bild, dass sich Merkel wenige Tage nach ihrem Amtsantritt just mit den Folgen des US-Einmarschs herumschlagen muss. Erst mit den Folter-Flügen des amerikanischen Geheimdienstes offenbar auch von deutschem Territorium – und jetzt mit der ersten Entführung einer deutschen Geisel im Irak.
Doch gemach. Der Entführungsfall hat nach allem, was bis jetzt bekannt ist, nichts mit der deutschen Irakpolitik zu tun. Es ist einfach ein neuer, tragischer Fall in der langen Reihe von tausenden von Geiselnahmen seit Beginn der amerikanischen Besatzung. Solange lediglich irakische Staatsbürger der florierenden Kidnapping-Industrie zum Opfer fallen, nimmt die Öffentlichkeit davon allerdings kaum Kenntnis. Schlagzeilen machte allenfalls die Entführung von bislang mehr als 200 Ausländern. Auch das allerdings vor allem in den Ländern, aus denen die Entführten jeweils stammten.
Hierzulande wiegten sich Politiker und Öffentlichkeit in einer trügerischen Sicherheit. Gerieten Staatsbürger aus Silvio Berlusconis Italien oder Tony Blairs Vereinigtem Königreich in Geiselhaft, war der Zusammenhang mit der proamerikanischen Politik der Regierungen in Rom oder London schnell hergestellt. In den jeweiligen Ländern sah die Öffentlichkeit das ähnlich, entsprechend unbequem wurde die Lage für die US-treuen Regierungschefs.
Jetzt zeigt sich einmal mehr, wie unappetitlich die Logik derart simpler Schuldzuweisungen ist, wie sie auch nach den Terroranschlägen von Madrid und London bisweilen zu beobachten waren. Auch wenn es vielleicht nur die Gnade der späten Kanzlerinwahl ist, die Angela Merkel jetzt vor solchen Vorwürfen schützt. So ungerechtfertigt sie auch wären. RALPH BOLLMANN