DIE DEUTSCHE FRIEDENSFORSCHUNG FINDET ZUR KRITIK ZURÜCK: Notwendige Warnung
Es war ruhig geworden um die deutsche Friedensforschung. Ihre Einrichtungen – einst gegründet als kritische Alternativen zu den traditionellen Strategieinstituten – waren seit dem Ende der Ost-West-Konfrontation immer mehr zu konventionellen Zentren der Politikberatung geworden. Viele Friedensforscher beschränkten sich darauf, die Generalisten in Parlamenten und Ministerien mit Analysen und Anregungen in ihrer Arbeit zu unterstützen. Auch dabei mögen sie Akzente gesetzt haben. Doch die Ursprünge der kritischen Wissenschaft waren kaum noch erkennbar.
Mit dieser Haltung haben die führenden Friedensforschungsinstitute jetzt gebrochen. In scharfer Form warnen die Herausgeber des diesjährigen Friedensgutachtens mit Blick auf den so genannten Anti-Terror-Krieg vor der Enttabuisierung militärischer Gewalt und der Rückkehr des Krieges in das „Arsenal gewöhnlicher außenpolitischer Instrumente“. Hauptadressat ihrer Kritik: die USA. Ihnen werfen sie vor, die von ihnen formierte Koalition sei nur „politische Rückendeckung für eine primär militärische Vorgehensweise“. Und an die deutsche Bundesregierung geht die Mahnung, der Einsatz der Bundeswehr drohe „zum normalen Instrument der Außenpolitik zu werden“.
Die Warnung vor der Normalisierung des Krieges geht weit über die bislang gewohnte Kritik an mangelnden Fortschritten bei der Rüstungskontrolle oder unzureichenden Aktivitäten bei der Konfliktbearbeitung hinaus. Zum einen wird hier die Bundesregierung deutlicher als zuvor angegangen. Zum anderen, und das ist das Entscheidende, geht es diesmal nicht um ein sekundäres Instrument, mit dem Frieden erreicht oder erhalten werden soll, nicht um internationale Abkommen oder Initiativen: Als bedroht gilt den Friedensforschern die größte Errungenschaft der UN-Charta, das Kriegsverbot. Diese Warnung ist berechtigt. Ein Grundparadigma der internationalen Politik seit 1945 wird ausgerechnet von jenen Staaten in Frage gestellt, die sich als Hüter einer zivilisierten Weltordnung verstehen. Die derzeitige Politik der USA und ihrer Verbündeten rüttelt an den Grundfesten des internationalen Zusammenlebens. Das gilt auch für die rot-grüne Regierung, die in ihrem Koalitionsvertrag deutsche Außenpolitik per se zur Friedenspolitik erklärt hatte.
Mit der differenzierten, aber mit Bezug auf die Pfeiler der internationalen Politik kompromisslosen Stellungnahme hat sich die Friedensforschung als kritische Instanz zurückgemeldet. Hätte sie vor der Gefahr solch einer katastrophalen Entwicklung wie der Enttabuisierung des Krieges nicht deutlich gewarnt, wäre sie überflüssig geworden.
ERIC CHAUVISTRÉ
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