DIE DESOLATEN ARABISCHEN LÄNDER SIND AUCH EIN PROBLEM EUROPAS: Auswandern auf einen anderen Planeten
Als am 11. September auf so mancher arabischen Straße applaudiert wurde, drückte sich darin auch Verzweiflung aus, angestauter Frust angesichts der völlig desolaten politischen, aber auch sozialen und wirtschaftlichen Lage der arabischen Welt. Weit über einzelne Länder hinaus zeigte sich, wie sehr sich eine ganze Weltgegend über den Tisch gezogen fühlt und dass die meisten Araber ohne Aussicht auf jeglichen sozialen Aufstieg leben.
Noch nie wurde dieses Gefühl der Impotenz besser in Zahlen dokumentiert als im gestern veröffentlichten „Arabischen Bericht über die menschliche Entwicklung“, in der ein Team arabischer Sozialwissenschaftler erstmals im Auftrag der UNO versucht, die Lage in Zahlen zu fassen. Das Ergebnis ist schockierend: Fast immer rangiert die Region am unteren Ende der weltweiten Werteskala, mal kurz vor, mal kurz hinter Afrika südlich der Sahara. Das globale Dorf mit seinen neuen Technologien oder die Teilnahme der Frauen am politischen Prozess sind für die meisten Araber Konzepte von einem anderen Planeten.
Von den korrupten, diktatorischen eigenen Regimes ist kaum Abhilfe zu erwarten: Die Herrscher können nicht zur Rechenschaft gezogen werden und überlassen ihre Länder uneffektiven staatlichen Institutionen. Den Jugendlichen, die in weiten Teilen der Region die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, bleibt kaum mehr als die Entscheidung zwischen zwei gleichermaßen traurigen Alternativen: Entweder machen sie sich auf die Suche nach wenigstens irgendeiner kleinen Chance, in die verheißungsvollen Industrienationen auszuwandern. Oder sie schließen sich den fundamentalistischen vermeintlichen Heilsbringern an, die ihnen weiszumachen suchen, dass einzig die Beachtung stockkonservativer Werte alles besser mache.
Wie immer sie sich entscheiden – am Ende werden sie in beiden Fällen ein Problem des benachbarten Europas sein. Gemeinsame europäische Grenzkontrollen und verschärfte Gesetze der inneren Sicherheit werden als Antworten darauf nicht ausreichen. Wenn die arabischen Herrrscher reformunfähig sind, wird sich Europa schon im Eigeninteresse ernsthaft um seine kranken Nachbarn kümmern müssen. KARIM EL-GAWHARY
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