DIE BND-AFFÄRE ZEIGT: GEHEIMDIENSTE SIND NICHT ZU KONTROLLIEREN : Hinter der Fassade des Rechtsstaats
Die Stasi schrecklichen Angedenkens, sie ist mitten unter uns. So der Tenor selbst besonnener ZeitgenossInnen wie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, nachdem immer mehr Informationen zur Bespitzelung von oder mittels Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst (BND) durchsickern. Denn es ist jetzt offenbar, dass die Überwachung in keinem der bekannt gewordenen Fälle dadurch gedeckt ist, dass der BND in zulässiger Weise zur „Eigensicherung“ seiner Behörde im Inland tätig geworden ist. Vielmehr hat er seine Kompetenzen bei Operationen in Deutschland ständig und grob missbräuchlich überschritten.
Dass der Auslandsgeheimdienst aufs Inland übergreift, ist seit der Telefonüberwachung im Zeichen der Terrorismusbekämpfung notorisch. Hier verzahnt sich polizeiliche und nachrichtendienstliche Tätigkeit auf gefährliche Weise. Denn die Polizei unterliegt rechtsstaatlichen Kontrollen. Der Kontrollausschuss des Bundestages für die Geheimdienste hingegen war und ist nichts als eine rechtsstaatliche Fassade. Im abgeschirmten Raum des Nachrichtendienstes gedeihen, wie sich jetzt schlaglichtartig zeigt, großflächige Intrigen. Hier wird korrumpiert, lanciert man Gerüchte und nimmt dadurch politischen Einfluss.
Es handelt sich dabei um die logische Konsequenz aus einer Behördenkonstruktion, die ihrem Wesen nach vordemokratisch funktioniert. Sie greift bei der Gewinnung von Informationen im Ausland (also ihrem eigentlichen Tätigkeitsbereich) systematisch zu Mitteln, die bei den angeworbenen „Mitarbeitern“ in den entsprechenden Ländern als schwere Straftaten gelten – zum Beispiel als Landesverrat. Operationen dieser Art wurden zur Zeit des Kalten Krieges als moralisch legitim angesehen, weil durch den Kampf der Systeme gedeckt, bei dem „wir“ zu den Guten gehörten. Aber sie verlieren ihre Rechtfertigung in dem Maße, wie Deutschland international als Anwalt der Verrechtlichung auftritt und die universelle Geltung von Normen als Richtschnur begreift.
Hingegen ist die Tätigkeit der Auslandsgeheimdienste nur vereinbar mit einer Politikauffassung, nach der sich die Staaten im „Naturzustand“ befinden, wo also jeder des anderen Wolf ist und das „nationale Interesse“ als einziger Maßstab politischen Handelns gilt. Moralische Skrupel sind in dieser Weltsicht kindisch. Denn Moralisten weigern sich, die Welt so zu sehen, wie sie nun mal ist.
Der Stasi-Vergleich mit den BND-Praktiken gegenüber Journalisten mag überzogen sein. Aber dass er wie selbstverständlich gebraucht wird, zeigt: Es geht nicht um Einzelfälle, sondern um ein Strukturproblem. Weisungen aus dem Kanzleramt werden es nicht lösen. CHRISTIAN SEMLER