DIE BESTEN KELLNER DER STADT: Ecco, il Centurio!
■ Fernando, strenger Hüter des »Colosseum«
Eigentlich lasse ich mir von einem hergelaufenen Aufwärter nichts gefallen. Und von diesen arroganten Schürzenträgern, die einen nie bedienen, schon gar nicht. Könnte ja jeder kommen. Aber selbst der wehrhafteste Mensch hat einmal einen schwachen Moment. Und als ich meinen Lieblingskellner das erste Mal sah, war ich sehr, sehr schwach. Und werd' es immer wieder.
Es war an einem verregneten Mittag im Herbst. Seit drei langen Tagen waren meine Schwiegereltern schon zu Besuch und wir hatten bereits Sanssouci, das Café Kranzler und die Siegessäule absolviert. Das Ergebnis waren platte Füße, schwache Nerven und dieser unvermeidliche Pizza-Hunger aller Reiseprovinzler. Müde schleppten wir uns noch mit allerletzter Kraft um eine allerletzte Ecke. So entdeckte ich die gute Küche des »Colosseum« und meinen kratzbürstigen Lieblingskellner — mehr zufällig als absichtsvoll. Kaum hatten wir uns — natürlich an den falschen Tisch — gesetzt, stand er auch schon vor uns. Ein römischer Legionär im Küchengewand. Drall und dunkel. Kaum länger als breit. Sein Gesicht geradezu quadratisch, umhelmt von dichtem schwarzen Haar. Wie ein verdienter Centurio vor Cäsars Zelt stand er da und ließ ein sizilianisches Donnerwetter auf uns herab. Lamentierte gestenreich, wutentbrannt und derart unverständlich, daß es eine Freude war. Viva Italia.
Das Verscheuchen hungriger Gäste von den geräumigen Tischen ist seine größte Freude. Im Colosseum ist Fernando, nicht der Gast, ein König. Palaver hier, Gezeter da. So schnell läßt ein Süditaliener nicht locker. Und wir, müde und ausgelaugt von Viktoria und dem alten Fritz, lassen es geschehen. Verziehen uns demutsvoll an ein kleines Tischchen. Bestellen Bier, das dann — zur Strafe? — gar nicht kommt, begehren grüne Oliven, kriegen schwarze. Kein Charme, kein waches Auge. Lustlosigkeit — die aber mit Gardemaß.
Was wie ein schlechter Kellner-Tag erscheint, ist Fernandos präzise Perfektion. Ob morgens, mittags, abends, nachts — muffelige Laune hält sich bei ihm ewig. Ist sein Prinzip.
Und doch: Wenn er sich für ein Trinkgeld nicht einmal bedankt, ist das altrömische Charakterstärke. Seine merkwürdigen Rechenkünste — stets zu seinen Gunsten! — philosophische Logik. Eine Herausforderung, wenn er mich einmal wieder nicht bedient. Was muß ich tun, damit du einmal lächelst, Centurio? Einmal höflich, ehrlich, diensteifrig bist? Soll ich die Karte rauf und runter essen? Italienisch in der VHS belegen? Tische schrubben, Tango tanzen?
Am besten, man läßt ihn einfach in Ruhe. Denn während seine Kollegen von der goldenen Kellner-Ehrennadel träumen, in Erwartung eines guten Trinkgelds ihren Gästen gedanklich die Darmwindungen hochkriechen, träumt Fernando von Hawaii. Von Bhopal oder Bangkok, Gambia und Kathmandu. Er hat nämlich die Welt gesehen und sieht sie noch. Zwar ist er Profi seines Fachs, mit fünf schon jobbte er in einer kleinen Cafébar, doch berufen ist er dafür nicht. Mit sechzehn hatte er die Faxen dicke, verließ sein Dorf, doch nicht die Profession. Das war in den Sechzigern, als Italiener in Europa willkommene Gäste waren. Seitdem bekellnert er die bisher bekannte Welt. Heute hier, morgen da. Verdient das Geld, das er für seine großen Reisen braucht. Und dann bloß weg hier. Im Dezember geht's schon wieder los. Nach Asien: Fernweh! Und was, Centurio, wird dann aus mir? Klaudia Brunst
Gneisenaustr. 6a, Kreuzberg 61
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