DIE ALTE SOZIALHILFE IST VERSCHWUNDEN, „HARTZ IV“ WURDE ZUR MARKE : Kampf um das Armuts-Label
Diese Zahl überrascht dann doch: Nur noch 81.000 Personen erhielten zum Jahresende 2005 Sozialhilfe im engeren Sinne. Kaum ein Mensch muss heute noch „zum Sozialamt“ gehen, denn der allergrößte Teil der früheren Sozialhilfeempfänger bekommt heute Arbeitslosengeld II. Die gestern vom Statistischen Bundesamt bekannt gegebenen Zahlen werfen eine interessante Frage auf: Verändert sich die Wahrnehmung einer Tatsache, wenn man ihr einen neuen Namen verpasst? Und wie wird dann um die Besetzung dieses Begriffes gerungen?
Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe wurden 2005 zum Arbeitslosengeld II zusammengelegt. Wer mindestens drei Stunden am Tag arbeiten kann, gilt seitdem als ALG-II-Empfänger. Nur noch Leute, die vorübergehend erwerbsunfähig werden, länger krank bleiben oder im Vorruhestand eine zu niedrige Rente bekommen, kriegen noch „Sozialhilfe“ im alten Sinne.
Aus der Zusammenlegung machte die Alltagssprache schnell „Hartz IV“, ein Label, das so von der Politik nicht intendiert war, sich aber inzwischen im Alltagssprachgebrauch, in Talkshows, im Theater und sogar auf Speisekarten findet. In der Adaption des Labels durch die Öffentlichkeit liegt durchaus etwas Demokratisierendes. Fünf Millionen Empfänger sind auf „Hartz IV“. Damit ist der Bezug – im Unterschied zur alten „Sozialhilfe“ – keine Schande mehr. Eigentlich.
Doch Marken, Labels oder Brandings geraten immer dann in Misskredit, wenn sich negative Assoziationen mit ihnen verbinden. Und genau um diesen Kampf geht es jetzt. Rückt man „Hartz IV“ in die Nähe von Dauerarbeitslosen auf eigenen Wunsch wie einst Henrico Frank, dann kippt der Begriff in Richtung Sozialbetrüger. Verbindet man mit dem Wort hingegen Leute, die in widrigen Umständen durchhalten, rückt man das Label in die Nähe von ÜberlebenskünstlerInnen. „Hartz IV“ ist eine dynamische Marke geworden.Wir entscheiden darüber, welche Bedeutung dominiert, in jedem Privatgespräch. Die Werbung würde das als „Markenerfolg“ bezeichnen. „Hartz IV“ betrifft uns alle. Und das ist gut. BARBARA DRIBBUSCH