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DIE ALTE ERDE„Auch wir Wissenschaftler brauchen wohl die Wildnis“

■ Die Antarktis, ein Kontinent, der immer wieder Sehnsüchte weckt. Die einen interessieren sich, trotz Antarktis-Abkommen, weiter für Rohstoffe, den anderen dient das größte Freiluftlabor der Welt zur Erforschung von Klimaveränderungen. Andrea Seibel telefonierte via Satellit zur Greenpeace-Station und sprach mit der deutschen Biologin SABINE SCHMIDT

WORLD MEDIA: Im Moment herrscht Sommer in der Antarktis. Man glaubt nach all den Medienberichten gemeinhin, sich das Leben einigermaßen vorstellen zu können. Was heißt nun aber Sommer im ewigen Eis?

Sabine Schmidt: Der Sommer in der Antarktis bedeutet erst einmal, daß die Sonne am Himmel kreist, wir also seit Ende Oktober keinen Sonnenuntergang mehr haben. Ich erinnere mich: Das Zwielicht, der erste Sonnenaufgang im August nach all der Dunkelheit, war wirklich berauschend. Vor einigen Wochen machten wir bei Tagestemperaturen um den Nullpunkt sogar einen „Ausflug“ zu dritt mit Schneemobilen über den McMurdo-Sund, um Wasser- und Schneeproben zu entnehmen. Wir fuhren über das See-Eis auf den Antarktischen Kontinent nach Queen-Victoria-Land, vorbei an Eisbergen, Höhlen, Gletschern. Oft blieben wir stehen, genossen die Farben und machten Fotos. Die Farben!

Meist herrscht im Sommer strahlende Sonne und blauer Himmel. Man kann dann unheimlich weit sehen. Es kann aber auch heftige Schneestürme geben, wie etwa bei der Rückfahrt von Queen-Victoria-Land nach Ross-Island geschehen. Man sieht dann kaum etwas, und wenn es zu schlimm wird, muß man die Zelte aufschlagen und auf eine Wetterbesserung warten.

Sommer heißt auch, daß es bei den Tieren, die auf den zwei Prozent eisfreiem Gebiet leben, Nachwuchs gibt. Seit Anfang Oktober werden die Wedell-Robbenbabies geboren. Man sieht sie überall schwimmen und tauchen lernen. Und auch die Pinguine sind in ihre Kolonien zurückgekehrt. Etwa acht Kilometer nördlich von Cape Evans, wo wir unsere Station haben, befindet sich die südlichste Adelie-Pinguin-Kolonie. Tausende von Pinguinen beginnen dort zu brüten. Es ist wunderbar, wenn man nach dem harten, dunklen Winter all die Tiere wiederkommen sieht. Die Raubmöven kehren zurück und beginnen direkt hinter unserer Station zu brüten. Und selbst der Kontakt der Leute untereinander nimmt dann zu. Man trifft andere Wissenschaftler, es kommen Expeditionen von anderen Stationen, etwa von der 30 Kilometer nördlich gelegenen großen US-amerikanischen McMurdo-Station. Auf der leben in den Sommermonaten Hunderte Leute.

Das klingt ja schon fast so, als sei viel los.

Ja, verglichen zum Winter, wo auf den insgesamt 14 Millionen Quadratkilometern Fläche gerade mal 800 Wissenschaftler überwintern, ist jetzt wirklich viel los.

Wie groß ist denn Ihre Station? Die größte deutsche Station etwa, die „Georg von Neumeyer“, ist ja als Röhre unters Eis gebaut, ohne Fenster.

Wir haben einen Container, eine Art Blockhaus. Dort leben und arbeiten wir mit vier Leuten, viel privater Raum bleibt da nicht. Bei uns ist ein Stationsleiter, der auch Mechaniker ist und zugleich Sprecher der Gruppe. Mit dabei sind dieses Jahr zwei Wissenschaftler und eine Person, die für Kommunikation, die technische Seite verantwortlich ist. Früher hatten wir einen Arzt oder eine Krankenschwester dabei, dieses Jahr aber nicht.

Die Arbeit verläuft sehr routinemäßig. Im Winter muß immer einer Nachtwache halten, um die Feuerung zu sichern. Auch unsere wissenschaftlichen Projekte geben uns einen regelmäßigen Zeitrahmen, das braucht man auch. Man führt das ganze Jahr über ein Projekt durch: wie etwa auf dem Meereis die Temperatur zu messen. Das heißt dann, jeden Tag aufs Meereis zu gehen, auch im Winter, in der Dunkelheit, langsam. Es ist also nicht so, daß man im Winter hier nur sitzt und darauf wartet, daß er doch bitte vorübergeht. Wir sind oft draußen, auch bei 50 Grad minus, sind viel beschäftigt.

Dennoch verlangt dieses Leben jenseits der kontemplativen Routine – in klimatischen Verhältnissen, die kein Menschenleben vorsahen – eine hohe Anpassungsfähigkeit. Was treibt Sie nun schon zum zweiten Mal in die Antarktis? Ist es eine Sucht? Die Erotik des ewigen Eises?

Man kann das durchaus als Sucht beschreiben (lacht). Das ist sicherlich nicht für jeden geeignet. Man muß schon eine gewisse Leidenschaft empfinden für Polargebiete. Und dann spielt in unserem Fall natürlich auch der gute Zweck eine Rolle. Für mich ausschlaggebend ist sicherlich, daß mich Polargebiete sehr anziehen. Das erste Jahr hier war zudem eine gute Erfahrung für mich. Also ergriff ich die zweite Gelegenheit sofort beim Schopf.

Was heißt das, die Polargebiete ziehen Sie an?

Es ist zum einen die absolute Wildnis und dann das Klima. Das ist zwar sehr harsch, aber für mich als Europäerin ist es ein besonderes Erlebnis, wirklich unberührte Natur zu sehen; hier im Extremfall Gebiete zu betreten, die noch niemand vorher sah oder auch nur betreten hat. Was auch eine wundervolle Erfahrung ist: daß die Tierwelt keinen Menschen kennt, die Tiere zahm sind, Pinguine auf die Menschen zukommen, weil sie einfach neugierig sind.

Der Wissenschaftler also auch als letzter Abenteurer?

(lacht) Ja. Das ist vielleicht in uns allen. Daß wir die Wildnis brauchen, daß wir neues Terrain sehen wollen. Auch wenn ich nach diesem Jahr nicht mehr in die Antarktis zurückkommen kann, wird es für mich wichtig sein zu wissen, daß es diesen Kontinent gibt, diese letzte unberührte Natur.

Die Antarktis ist tatsächlich ein ganz besonderer Ort – auch im Vergleich zum besser zugänglichen Nordpolarkreis. Ein Kontinent, der Sehnsüchte weckt, der aber auch die Grenzen menschlicher Machbarkeit aufzeigt. Sie konnte sich der Kolonialisierung durch ihre Rauheit erwehren. Muß ein Wissenschaftler, der hierherkommt, nicht auch Philosoph sein?

Man sollte sich der Bedeutung bewußt sein. Die Forschung sollte sich darauf konzentrieren, die Besonderheit des Kontinents zu würdigen. Man sollte nicht hierherkommen und etwas erforschen, was man überall sonst auch tun kann. Die Antarktis ist sehr wichtig als großes Freiluftlabor. Man kann hier globale Klimaveränderungen feststellen, oder die Warnzeichen hierfür entdecken. Man studiert die Ozonzerstörungen. Darauf sollte sich die Forschung konzentrieren.

Glauben Sie, daß sich in der Antarktis eine besondere Spezies von Wissenschaftlern tummelt? Muß man nicht, um hier zu arbeiten, mit einer besonderen Moral herangehen? Hier stößt man doch an die Verantwortungsethik der Wissenschaft, etwa wenn Grundlagenforschung für die Rohstoffausbeutung betrieben wird?

Erstens mal muß man sich dessen bewußt werden, daß selbst die eigenen Aktivitäten hier schon schädlichen Einfluß auf die Umwelt haben können. Und man sollte erkennen, daß es ein großes Privileg ist, hier arbeiten zu können.

Das Eis ist doch auch so etwas wie ein Speicher, ein Gedächtnis von Umweltveränderungen.

Weil die Antarktis sehr weit weg ist von industrialisierten Gebieten, kann man sagen, daß die Spuren von Umweltverschmutzung – etwa die Umweltgifte in der Atmosphäre –, die man bei Proben findet, als globaler Minimalwert gelten können, man kann so den Transport von Schadstoffen sehr gut nachvollziehen. Etwa Spuren von Radioaktivität, die von den überirdischen Atomversuchen herrühren. Aber auch Studien an herausgeschnittenen Eisblöcken der letzten Eiszeit lassen Rückschlüsse auf frühere Klimaveränderungen zu. Die unberührte Natur der Antarktis spielt ja eine zentrale Rolle im Weltgeschehen: in klimatischer, hydrologischer oder biologischer Hinsicht. Das ist die wichtigste Entdeckung für uns Wissenschaftler. Zum Beispiel daß die Eisdecke die Sonne fast vollständig reflektiert und dadurch tropische Wärme in den Weltraum abgegeben wird, also das Weltklima maßgeblich beeinflußt wird. Oder bedenkt man die Bedeutung der Meeresströmungen. Für die Wissenschaft könnte die Antarktis ein Überwachungslabor für vom Menschen verursachte Schäden und Störungen sein.

Glauben Sie, daß nach all den Jahren der Kampagnen für einen Weltpark Antarktis, von dem Greenpeace mittlerweile sagt, er sei ein „realistischer Traum“, innerhalb der Wissenschaft ein Paradigmenwechsel stattfindet? Daß man eben nicht im klassischen Sinne weitermacht, die Antarktis nach Rohstoffen abzuklopfen und nach der Verwertbarkeit zu beurteilen, sondern sie als Spiegel der eigenen Umweltvergehen erkennt?

Da kann man zumindest hoffnungsvoll sein. Es gibt einige internationale Wissenschaftlerorganisationen, die sehr genau die Ziele der Wissenschaft und die Bedeutung der Antarktis für Klima- und Ozonforschung formulieren. Das Bewußtsein unter den Wissenschaftlern ist darüber mehr und mehr gewachsen. Das Problem scheint eher, daß die Wissenschaftler bei ihren Regierungen kein Gehör fanden.

Wie hat man sich denn den Kontakt unter den Stationen vorzustellen? Zu Beginn des Antarktis-Vertrages vor 30 Jahren stand ja zu Zeiten des Kalten Krieges ein beeindruckender wissenschaftlicher Kosmopolitismus. Gibt es jetzt schon gemeinsame Forschungsvorhaben?

Da liegt noch einiges im argen. Natürlich gibt es Zusammenarbeit in der Logistik. Doch da könnte noch viel mehr getan werden. Etwa Stationen gemeinsam zu nutzen, was in den vergangenen Jahren immer ein Problem war. Oft kam es zu Doppelungen in den verschiedenen nationalen Programmen, da war die Koordination unzureichend. Nationen errichten auch oft Stationen nur wegen der Präsenz und weniger wegen der Forschung. Das führte dazu, daß auf der antarktischen Halbinsel sehr viele Stationen auf engem Raum beieinanderliegen und dort die Kooperation sehr unzureichend ist. Von internationalen Stationen an wissenschaftlich wirklich sinnvollen Plätzen ist die Gemeinschaft der Antarktis-Vertragsstaaten noch weit entfernt.

Neben der wissenschaftlichen Bedeutung ist die Antarktis auch Metapher. Für das Reine, Unberührte, aber auch Kalte, so Unmenschliche, Erbarmungslose. In den alten Utopien hoffte man, hinter oder unter dem Eis das Warme, Goldene zu finden, das Paradies. In diesem Sinne ist die Antarktis für mich auch ein Kulturschatz, hat sie neben der geographischen Fläche diese unendliche Projektionsfläche.

Das würde ich auch so sehen. Ich glaube, daß es für die ganze Menschheit wichtig ist, daß es noch einen Ort auf der Welt gibt, der solcherart unberührt, ja rein, ist. Auch wenn nur ganz wenige das Privileg haben, hierher zu kommen, hier zu leben, und dies zu erfahren. Zu wissen, daß es einen solchen Ort gibt, ist für das Bewußtsein der Menschheit, für ihren Seelenfrieden, von großer Bedeutung.

Jahrelang hat Greenpeace wegen des Wissens darum, daß allein schon die Präsenz der Forscher eine Belastung für das Gleichgewicht des empfindlichen Ökosystems darstellt, nur Aufklärungsarbeit betrieben. Man forschte selbst nicht im eigentlichen Sinne, sondern betrieb Forschungskritik. Nun ist das 50jährige Rohstoffmoratorium im Kasten, und man will die Sstation, die man seit 1987 betreibt, aufgeben. Warum?

Das hat verschiedene Gründe. Wir sagten immer, daß mit dem Moratorium von Madrid ein wichtiges Ziel erreicht ist. Wir werden aber nicht unsere Aktivitäten einstellen. Die Station bedingt, daß das Schiff jedes Jahr mühselig ein neues Team samt Proviant vorbeibringen muß. Das ist natürlich auch sehr teuer und kostet viel Zeit. Wir werden jetzt eher mobile Teams aus vier bis fünf Leuten an verschiedenen Stellen in der Antarktis einsetzen, die dann für einige Wochen im Sommer Beobachtungen durchführen. Dadurch können wir wahrscheinlich doch mehr erreichen als durch eine permanente Station.

Das heißt auf flexiblere Weise weiter kontrollieren, was in der Stille des ewigen Eises so alles vor sich geht?

Nennen Sie es Gewissen, andere haben uns als „Wachhunde“ bezeichnet. Der Überraschungseffekt dieser mobilen Einheiten könnte jedenfalls noch größer sein.

Sabine Schmidt Biologin, verbringt zum zweiten Mal ein ganzes Jahr auf der Greenpeace-Station Cape Evans in der Antarktis.

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