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DGB warnt vor leichteren Entlassungen

■ Arbeitsministerium und Arbeitgeber verstehen die Aufregung angeblich nicht

Bonn (taz) – Kurz vor der Bundesratsentscheidung über das Sparpaket hat die Bonner Diskussion ein neues Thema bekommen: Den Kündigungsschutz bei Großunternehmen. Die Koalitionsfraktionen hatten Ende Juni auf Drängen der FDP eine solche Gesetzesveränderung dort hineingeschrieben. Es geht darum, ob Unternehmer künftig verstärkt um Abfindungszahlungen an entlassene Arbeitnehmer herumkommen können. Man stelle sich vor: Ein Großunternehmen will weniger als zehn Prozent seiner Beschäftigten entlassen. Laut Gesetz müssen Arbeitgeber und der Betriebsrat in Verhandlungen über einen Interessenausgleich eintreten. Sollte dieser Interessenausgleich nach zwei Monaten nicht zustande kommen, kann der Arbeitgeber straflos tun, was er will.

Die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Ursula Engelen- Kefer, schimpfte gestern, Firmen bräuchten im Falle der Gesetzesänderung nur den Interessenausgleich hinauszuzögern, um sich Abfindungen sparen zu können. „Es muß bezweifelt werden, ob Arbeitgeber ernsten Willens zur Verhandlung sind, wenn sie wissen, daß sie nach Fristablauf tun können, was sie wollen.“

In Arbeitsministerium, CDU- Fraktion sowie Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeber (BDA) versteht man dagegen die Aufregung nicht. Es handele sich um ein „riesiges Mißverständnis“, sagte gestern der Leiter der Arbeitsrechtsabteilung des BDA, Alfred Wisskirchen. Grund für die Gesetzesänderung sei nur eine beabsichtigte Verfahrensbeschleunigung bei Betriebsänderungen. Die Neufassung des §113 besage, daß der Versuch eines Interessenausgleichs auf zwei, maximal drei Monate beschränkt werde (bisher unbeschränkt). Damit solle verhindert werden, daß die Betriebsräte Betriebsänderungen ungebührlich lange hinauszögerten.

Um die Verhandlungsmacht der Betriebsräte geht es in der Tat: Der Betriebsratsvorsitzende der Mercedes-Benz AG im Werk Wörth, Gerd Rheude, kennt das Problem aus eigener Erfahrung. Bei der Ausgliederung eines Betriebes mit 600 Mitarbeitern in der Kunststoffteilfertigung hätten die Verhandlungen um einen vernünftigen Interessensausgleich 1,5 Jahre gedauert. Für die Unternehmer ergibt sich noch ein anderer Vorteil. Bisher gilt: Wenn sie den Interessenausgleich schuldhaft verzögern, müssen sie die Arbeitnehmer für die entstandenen Nachteile entschädigen. Dazu gehörte eine regelmäßig von den Arbeitsgerichten als Strafe verhängte Abfindung für die Entlassenen. Nach der geplanten Gesetzesregelung braucht der Firmenchef nur zwei bzw. drei Monate lang den Eindruck erwecken, er wolle wirklich einen Interessenausgleich. Dann ist er solcher Entschädigungssorgen ledig. Markus Franz

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