DGB-Vorstandsmitglied über arme Rentner: "Altersarmut rollt auf uns zu"
Es rollt eine richtige Altersarmut-Welle auf uns zu, glaubt Annelie Buntenbach vom DGB. Frauen werde es härter treffen als Männer.
taz: Frau Buntenbach, Ökonomen halten das Problem Altersarmut für überschätzt. Sehen Sie das auch so?
ANNELIE BUNTENBACH, 53, ist Mitglied des geschäftsführenden DGB-Bundesvorstands. Seit 2006 ist die Grüne zudem alternierende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Rentenversicherung.
Annelie Buntenbach: Nein, überhaupt nicht. Momentan ist das Problem noch nicht so akut - das ist sicher richtig. Aber künftig rollt eine regelrechte Welle an Altersarmut auf uns zu.
Was macht Sie da so sicher?
Dafür spricht eine ganze Reihe von Indikatoren: die schnelle Ausweitung des Niedriglohnsektors etwa oder die starke Zunahme von prekären Beschäftigungsverhältnissen. Menschen in diesen Bereichen werden es künftig äußerst schwer haben, im Alter über die Grundsicherungsgrenze zu kommen.
Frauen bekommen im Schnitt deutlich weniger Rente als Männer. Ist Altersarmut ein eher weibliches Problem?
Ja, und das wird auch so bleiben, fürchte ich. Denn die Möglichkeiten von Frauen, Zugang zu einer eigenständigen sozialen Absicherung zu finden, sind nach wie vor erheblich schlechter als für Männer.
Aber der weibliche Anteil auf dem Arbeitsmarkt hat sich doch in den letzten Jahren deutlich erhöht?
Das stimmt. Nur ist der Anteil von Frauen eben besonders hoch in Sektoren ohne oder mit nur geringer sozialer Absicherung. Nehmen Sie den Niedriglohnbereich. Wir haben heute schon rund 3 Millionen Menschen, die vollzeitbeschäftigt sind, aber zu Löhnen arbeiten, die unter der Hälfte des Durchschnittslohns liegen - davon sind die meisten Frauen. Floristinnen, Verkäuferinnen oder Pflegekräfte haben oft so niedrige Löhne, dass sie von der Rente später kaum leben können. Und fürs Alter kann auch nichts zurückgelegt werden. Das Gleiche gilt für die 6,9 Millionen Minijobs - auch in diesem Bereich sind zum allergrößten Teil Frauen beschäftigt.
Was müsste Ihrer Meinung nach getan werden, um Frauen stärker vor Altersarmut zu schützen?
Die Politik hatte jahrelang einen Tunnelblick auf die Beitragssätze. Dabei ist aus dem Blick geraten, was an Leistungen übrig bleibt. Außerdem ist der Arbeitsmarkt die eigentliche Baustelle. Hier müssen wichtige Änderungen her.
Und zwar?
Mindestlöhne müssen endlich eingeführt werden. Höhere Löhne heben schließlich auch die spätere Rente. Das gilt für alle. Außerdem müssen niedrige Einkommen bei der Rente höher bewertet werden, wovon vor allem Frauen profitieren würden. Frauen müssen auch leichter einen qualifizierten Zugang zum Arbeitsmarkt finden können, um sie aus der Teilzeitfalle herauszuholen. Nur dann können sie auch eine eigenständige Altersabsicherung aufbauen. Dafür müssten wir die Kinderbetreuung weiter ausbauen und die Arbeitszeiten familienfreundlicher gestalten.
INTERVIEW: VEIT MEDICK
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl