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Archiv-Artikel

DEUTSCHLAND IST NICHT AUF DAUER ABHÄNGIG VOM RUSSISCHEN GAS Der Kanzler kann ruhig Klartext reden

Aus Russland kommt nicht nur der kalte Winter – sondern auch das Gegenmittel. 40 Prozent der deutschen Erdgaseinfuhren stammen aus Russland, europaweit sind es sogar knapp 70 Prozent. Deutschland braucht das Gas aus Russland, die Regierung in Moskau das Geld für den Ausbau von Förderung und Transport – ein lohnendes Geschäft für beide Seiten.

Wenn da nicht der ständige Vorwurf des Anbiederns wäre. Damit es in Deutschlands Stuben warm bleibt, schweigt Bundeskanzler Schröder zu Menschenrechtverletzungen in Tschetschenien oder zur Zerschlagung des Ölkonzerns Yukos, so die berechtigte Kritik. Deutschland hat sich nach dem Ölschock der 70er mehr als die USA aus der Abhängigkeit von den Produzenten im Nahen Osten befreit – und sich offenbar in eine neue Abhängigkeit begeben. Die rot-grüne Energiepolitik scheint den Kurs noch zu verschärfen. Denn als Übergang vom Atomzeitalter zu den erneuerbaren Energien setzen gerade die Grünen auf Erdgas auch als Brennstoff für Autos und Kraftwerksgeneratoren. Damit sind sie nicht allein, in der EU wird der Importbedarf für Erdgas in den nächsten 20 Jahren um bis zu 200 Prozent steigen.

Dennoch darf bezweifelt werden, dass dies die Abhängigkeit von russischen Rohstoffen erhöht. Denn Erdgas kann wirtschaftlich nicht weiter als 5.000 Kilometer durch Pipelines gepresst werden. Damit bleiben für Westeuropa vor allem die Vorkommen in Westsibirien entscheidend. Und dort wird die Fördermenge ab 2015 deutlich zurückgehen. Für die ergiebigeren Felder in Ostsibirien und dem Fernen Osten sieht Russland selbst die Kunden außerhalb Europas.

Die EU wird in 20 Jahren möglicherweise nur noch zu einem Drittel ihr Gas aus Russland beziehen. Länder wie Algerien, Libyen und Iran werden an Bedeutung gewinnen. Das wird neue Probleme bringen – kann aber schon jetzt die gefühlte Abhängigkeit von Russland verringern. Unkritisches Schweigen zu offensichtlichen Fehlern der russischen Regierung ist also eine Strategie, die langfristig wenig Sinn macht. STEPHAN KOSCH