DER VOLKSENTSCHEID ÜBER ABTREIBUNG BLEIBT OHNE FOLGEN: Typisch irische Lösung
Die irische Regierung hat das Ergebnis im Abtreibungsreferendum verdient – zu Recht hat sie vom Volk eine Abfuhr bekommen. Selten war ein Ergebnis so unwichtig wie dieses, weil es an der Realität nichts, aber auch gar nichts ändert. Jahr um Jahr sind in der Vergangenheit rund 10.000 irische Frauen zum Schwangerschaftsabbruch nach England gefahren. An dieser Zahl wird sich auch nichts ändern, denn in Irland wird es auch in absehbarer Zeit keine legale Abtreibung geben – und das war schon vor dem Referendum klar. Dass nur rund 40 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben haben, lag nicht am Desinteresse. Kaum ein Thema wird in Irland so leidenschaftlich debattiert wie Abtreibung. Es lag an der Regierung. Zum einen, weil sie den Text unnötig kompliziert formulierte. Ein Drittel der Wahlberechtigten verstand nicht, worum es eigentlich ging. Zum anderen waren viele Wähler verärgert, dass die Regierung überhaupt ein Referendum veranstaltet hat.
1992 hatten Irlands höchste Richter entschieden, dass Abtreibung bei Lebensgefahr – und dazu zählten sie auch Selbstmordgefahr – gestattet ist. Aufgabe der Regierung wäre gewesen, ein entsprechendes Gesetz zu erlassen. Dieser Pflicht entzog sie sich, weil damit keine Stimmen zu gewinnen sind. Man fragt sich, wozu man eine Regierung braucht, wenn sie bei strittigen Themen kneift und die Entscheidung aufs Volk abwälzt. Ebenso könnte man die Legislative an Computer delegieren. Die wären weniger korrupt, und es käme billiger.
Nicht nur den Regierungspolitikern ist Heuchelei vorzuwerfen – auch einem großen Teil der Wähler. Der Volksentscheid hat wieder einmal die Spaltung zwischen Stadt und Land gezeigt. Mehrheitlich stimmte die Landbevölkerung dafür, Selbstmordgefahr als Abtreibungsgrund zu verbieten. Bei Umfragen sprachen sich jedoch noch vorige Woche zwei Drittel dafür aus, einen Abbruch nach einer Vergewaltigung, nach Inzest oder bei Selbstmordgefahr zu legalisieren. Es ist eine typisch irische Lösung: Man wahrt den Schein und hält das moralische Prinzip aufrecht, aber im Einzelfall zeigt man Verständnis. RALF SOTSCHECK
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen