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Archiv-Artikel

DER NEUE WARENKORB ZEIGT: VON KONSUM-STILLSTAND KEINE SPUR Schauvitrine der Gesellschaft

Der Konsument ist ein fremdes Wesen, die Konsumentin auch. Das schafft Probleme: Fortwährend denkt sich die Industrie Produkte aus, ohne recht zu wissen, ob der Leichtjogurt mit Kokosnussgeschmack auch zum Erfolg wird. Denn an den Kassen entscheiden nicht die feinen Unterschiede, sondern das Urteil von Otto Normalverbraucher. Insofern ist es löblich, dass alle paar Jahre der Warenkorb neu zusammengestellt wird, nach dem die Statistiker die Inflationsrate berechnen. Die Datensammlung auf Basis des Einkaufsverhaltens aus dem Jahr 2000 erscheint wenn schon nicht als Spiegel, dann doch zumindest als Schauvitrine der Gesellschaft.

Nun könnte man meinen, dass zwischen 1995 und 2000 in Deutschland nicht viel auf dem Markt passiert ist. Die Wiedervereinigung war abgeschlossen, die Angst vor dem Teuro noch nicht in Sicht. Dass mittlerweile Fertigsoßen die gute alte Suppenwürze ersetzen, ist geschenkt. Und auch das Fehlen von Durchlauferhitzern und Gasherden in der neuen Listung der monatlich geführten Haushaltsbücher besagt wenig über modernisierte Wohnkultur.

Interessant wird es dagegen in der Ausformung von Freizeit: Dort finden die großen Verteilungskämpfe um Konsumgüter statt. Tatsächlich wird technisch weiter aufgerüstet, werden Motorcaravans gekauft, wo früher noch mit einem Schlauchboot vorlieb genommen wurde. Auch die Zeiten der Dia-Abende sind vorbei – Zeitgenossen versenden E-Mails mit Urlaubsfotofiles von der Nordsee. Tanzen lernt derweil keiner mehr: Wer den Körperkontakt sucht, geht ins Fitness-Studio. Und während die Briefmarkensammlungen aus dem Warenkorb verschwunden sind, findet man darin jetzt Kondome wieder – vielleicht als bewussterer Umgang mit Sexualität in Zeiten von Aids, vielleicht als Ausdruck der auch physisch selbstverwalteten Ich-AGs. Offenbar hat sich die Masse ganz gut im Griff. Sorgen muss man sich um Konsumenten also nicht, auch der Jammerton angesichts sinkender Umsatzzahlen passt nicht zum allgemeinen Modernisierungswillen. HARALD FRICKE